19.12.2013 21:51:32

GESAMT-ROUNDUP: Spitzentreffen in Brüssel: Der Gipfel der offenen Fragen

    BRÜSSEL (dpa-AFX) - Bundeskanzlerin Angela Merkel kommt mit ihrer wirtschaftspolitischen Reformagenda in Europa nicht voran. Ihr Versuch, die EU-Staaten mit verpflichtenden Verträgen dazu zu bringen, ihre Wirtschaftssysteme wetterfest zu machen, wurde beim EU-Gipfel am Donnerstag in Brüssel auf die lange Bank geschoben. Entscheidungen soll es erst im Juni kommenden Jahres geben. EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) ging dafür mit den Staats- und Regierungschefs hart ins Gericht.

    Denn bei der Umsetzung klaffen Lücken. Im Gegenzug für Reformen sollen die Staaten künftig Geld aus Brüsseler Töpfen bekommen. Ungeklärt ist, ob dies der EU-Haushalt ist oder ein neues Budget. "Wo kommt das Geld her?", fragte Schulz. "Das ist eine völlig ungeklärte Frage."

    Das ist auch Kanzlerin Merkel und ihren Amtskollegen bewusst. Die hatten das Thema zwar zum Abendessen auf der Menükarte. Doch schon vorher stand fest, dass wenig beschlossen werden würde. "Die Arbeit wird fortgesetzt werden, um alle Möglichkeiten (...) zu erkunden", stand im Entwurf der Abschlusserklärung des Treffens. Erst der Gipfel im Sommer 2014 solle wieder auf das Thema zurückkommen. "Dass das bis zum Juni verschoben wurde, ist keine Überraschung", merkte Schulz an. Dann sind die Europawahlen im Mai vorbei.

    Die Frage "Wer zahlt?" spaltete die Staatenlenker auch beim Thema europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Frankreich forderte unter anderem wegen des Einsatzes französischer Truppen in Zentralafrika eine dauerhafte europäische Kriegskasse, konnte sich damit aber nicht durchsetzen. Viele Regierungen - darunter Berlin - wollen keine Operationen finanzieren, bei denen sie keine Mitsprache haben. Deutschland sieht nach Angaben aus Regierungskreisen "keinen grundsätzlichen Überarbeitungsbedarf" beim Thema ständiger gemeinsamer Fonds für Militäraktionen in Krisengebieten.

    Zankapfel ist der Einsatz französischer Soldaten in Zentralafrika, bei dem es sich nicht um eine EU-Mission handelt, sondern um eine nationale Entsendung. Frankreichs Präsident François Hollande erklärte zwar, er habe für die Mission "viel Unterstützung von den europäischen Regierungen bekommen, praktisch von allen".

    Den Wunsch nach einer europäischen Kriegskasse wollen die anderen EU-Partner aber nicht erfüllen. Nach Angaben von Diplomaten sind viele EU-Staaten zwar bereit, sich an EU-Missionen - wie etwa in Mali - auch finanziell zu beteiligen. Sie wollten aber keine einseitig beschlossenen Aktionen eines anderen Staates finanzieren. Großbritannien fürchte zudem eine Schwächung des Militärbündnisses Nato. Kanzlerin Merkel blieb vage: Die EU-Staaten müssten "auch global eine koordinierte Politik machen", sagte sie bei der Ankunft.

    Aus deutschen Regierungskreisen war aber schon vorher zu hören, die Bundesregierung halte die bestehenden Regelungen für ausreichend. Demnach sind die Kosten eines Einsatzes von dem jeweiligen Land zu bezahlen - für Kosten, die nicht zuzuordnen sind, gibt es einen Verteilschlüssel für die anderen EU-Mitglieder. Die am Donnerstagabend verabschiedete Erklärung des Gipfels zur Verteidigungspolitik blieb unverbindlich.

    Während die Europäer um eine gemeinsame Haltung in Militärfragen ringen, droht Russland mit Aufrüstung vor der europäischen Haustüre. Moskau erwägt, in Kaliningrad atomwaffenfähige Iskander-Atomraketen als Antwort auf die Nato-Raketenabwehr zu stationieren. Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen entgegnete am Rande des Gipfels empört. "Unser System richtet sich in keiner Weise gegen Russland und deshalb sind Gegenmaßnahmen nicht gerechtfertigt", sagte er. "Wir haben keinerlei Absicht, Russland anzugreifen."

    Der russische Präsident Wladimir Putin nimmt indirekt auch Einfluss auf die Agenda des Gipfels am Freitag. Denn dann kommt das vorerst gescheiterte Vorhaben auf den Tisch, die Ukraine mit einem neuen Abkommen enger an die EU zu binden. EU-Parlamentspräsident Schulz deutete Verständnis für das Dilemma des von Russland wirtschaftlich abhhängigen Landes an. Europa müsse die Regierung in Kiew überzeugen und sie auffordern: "Arbeitet besser mit uns als mit anderen". Er warnte davor, die Türe zur Ukraine zu schließen. Die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton betonte vor dem Treffen: "Wir sind bereit zu unterschreiben."

    Bei einem Treffen vor dem eigentlichen Gipfel bereiteten die konservativen Staats- und Regierungschefs nebenbei auch ihren Wahlkampf für die Wahlen zum Europäischen Parlament im Mai vor. Dabei stellten sie klar: Die europäischen Wähler sollen mehr Einfluss auf die Besetzung europäischer Spitzenposten erhalten. "Der EVP-Kandidat für die Präsidentschaft der Kommission wird die EU-weite Kampagne für die Europawahlen 2014 anführen", schrieben sie in einer Erklärung. Auf eine ähnliche Prozedur hatten sich zuvor bereits die Sozialdemokraten festgelegt. Damit könnte der frühere luxemburgische Premier Jean-Claude Juncker gegen den deutschen SPD-Politiker Martin Schulz antreten. Der Sieger hat gute Chancen auf die Nachfolge von EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso.

    Bei dem zweitägigen Treffen werden die Staatenlenker am Freitag den Beschluss ihrer Außenminister bestätigen, mit dem Beitrittskandidaten Serbien im Januar kommenden Jahres Verhandlungen zu beginnen. Auch die Lehren aus der Flüchtlingskatastrophe von Lampedusa mit mehr als 360 Toten stehen auf der Tagesordnung./hrz/mt/eb/ahi/tl/cb/mau/DP/she

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