Wendepunkt steht bevor |
24.01.2021 16:37:00
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Experte rechnet mit baldigem Platzen der Blase - Diskrepanz zwischen Markt und Wirtschaft
• Spekulative Stimmung
• Diskrepanz zwischen Markt und Wirtschaft
Stratege rechnet mit baldigem Platzen der Blase
Als sich das Coronavirus im März 2020 weltweit immer stärker ausbreitete und zahlreiche Maßnahmen umgesetzt wurden, die das Virus eindämmen sollten, reagierten auch die Märkte und brachen zusammen. Damit galt der bis dahin längste Bullenmarkt an den US-Börsen, der 2009 begann, als beendet. Kurz darauf erholten sich die Aktienindizes in den USA aber wieder, setzten den Bullenmarkt fort - und erreichten zum Teil sogar neue Höchststände. Für den Strategen und Mitbegründer des britischen Investmentunternehmens GMO, Jeremy Grantham, ist aber klar: Bereits vor der Krise hat sich eine Blase gebildet. "Mit extremer Überbewertung, explosiven Preissteigerungen, rasanten Emissionen und hysterisch spekulativem Anlegerverhalten wird dieses Ereignis meiner Meinung nach als eine der großen Blasen in die Finanzgeschichte eingehen", so der Analyst in einem Beitrag auf der Internetpräsenz seines Unternehmens Anfang Januar. Grantham attestiert dem anhaltenden Bullenmarkt sogar eine ähnliche historische Relevanz wie der Südseeblase 1929 oder der Dotcom-Blase 2000. Mit Blick auf die Vergangenheit erklärt der Stratege zwar, dass Anleger in solchen Situationen ihre geschickte Positionierung unter Beweis stellen können, dies gelte in diesem Fall aber - trotz der Stützungsmaßnamen der US-amerikanischen Zentralbank Fed - nicht. So rechnet Grantham fest mit einem baldige Platzen der Blase und daraus resultierenden schwerwiegenden Folgen für die Wirtschaft und auch die Portfolios der Anleger.
Geduldsprobe für Anleger
Besonders problematisch für die Märkte sieht Grantham Phasen, in denen die Kurse von Vermögenswerten deutlich über oder unter einem angemessenen Preis liegen. Von Bärenmärkten gehe dabei eine deutlich geringere Gefahr aus, da diese zwar meist dramatische Einbrüche mit sich bringen, aber nur kurze Zeit andauern. "Das eigentliche Problem liegt in großen Bullenmärkten, die über Jahre hinweg andauern", so Grantham weiter. "Lange, langsam abnehmende Bullenmärkte können viele Jahre über dem fairen Wert liegen und sogar zwei, drei oder vier Jahre weit darüber." Für Anleger kann dies schnell zur Geduldsprobe werden. Gegen Ende eines Bullenmarktes, wenn die Preise sehr schnell steigen, legen Investoren ihre Ungeduld aber oft ab und tauschen sie gegen Angst und Neid ein. "Wie ich zu sagen pflege, gibt es nichts Irritierenderes als zuzusehen, wie die Nachbarn reich werden."
Spekulatives Börsenjahr
Bereits im vergangenen Sommer habe Grantham vermutet, dass sich der Markt in einem Spätstadium einer Blase befindet, auch wenn der Corona-Einbruch im März durchaus Zweifel an dieser Theorie geweckt habe. Bestätigt habe ihn aber das spekulative Verhalten der Anleger, besonders der Kleininvestoren. "In den ersten zehn Jahren dieses Bullenmarktes, der der längste in der Geschichte ist, fehlte uns eine solche wilde Spekulation. Aber jetzt haben wir sie", resümiert der Chefstratege. Als Beispiele hierfür nennt Grantham die Aktien von Hertz, Kodak, Nikola und Tesla, über die sein Unternehmen bereits berichtet hatte. Aber auch abseits dieser Werte sei das Börsenjahr 2020 beachtlich gewesen. Der Buffett-Indikator, der das Verhältnis der gesamten US-Aktienmarktbewertung zum Bruttoinlandsprodukt abbildet, überstieg sein Allzeithoch aus dem Jahr 2000. Außerdem war das Jahr von zahlreichen Börsengängen und Akquisitionszweckunternehmen geprägt. Auch konnten viele Nebenwerte deutlich zulegen. Dementsprechend zeigt sich Grantham wenig überrascht von der Tatsache, dass die Börsen seit dem Corona-Tief mehr und mehr zulegen und von wilden Spekulationen weiter angetrieben werden. "Es ist genau das, was man von einer Blase im Spätstadium erwarten sollte: eine sich beschleunigende, fast vertikale Phase von unbestimmbarer Länge - aber typischerweise kurz", erklärt der Analyst.
Wirtschaftliche Situation unterscheidet sich von anderen Blasen
Was diese Blase aber von den früheren unterscheidet, ist der derzeitige Zustand der Wirtschaft. Während Wirtschaftssysteme zuvor als stabil wahrgenommen wurden, weswegen das Platzen einer Blase Marktteilnehmer noch mehr überrascht hatte, ist die Wirtschaft aktuell noch weit von einer Erholung entfernt und nach wie vor von starker Unsicherheit geprägt. Zwar spendet der Impfstart in vielen Ländern Hoffnung, der weitere Verlauf der Pandemie und damit auch der notwendigen Maßnahmen zur weiteren Bekämpfung dieser ist aber nach wie vor offen. "Dennoch steht der Markt heute viel höher als noch im letzten Herbst, als die Wirtschaft gut aussah und die Arbeitslosigkeit auf einem historischen Tiefstand war", gibt Grantham zu bedenken. "Heute liegt das Kurs-Gewinn-Verhältnis des Marktes im oberen Bereich der historischen Spanne und die Wirtschaft ist im schlechtesten Bereich. Das ist völlig ohne Präzedenzfall und ist vielleicht sogar ein besseres Maß für die Spekulationsintensität als jedes Akquisitionszweckunternehmen." Problematisch sieht er, dass sich Anleger auf niedrige Zinsen verlassen, wodurch niedrigere Renditen für alle Anlageklassen und dementsprechend auch höhere Kurse gerechtfertigt werden können. "Aber weder perfekte wirtschaftliche Bedingungen noch perfekte finanzielle Bedingungen können ewig andauern, und genau das ist der Haken."
Genauer Zeitpunkt ungewiss
Dennoch haben alle Blasen laut Grantham gemeinsam, dass sie zu einem Zeitpunkt platzen, mit dem niemand rechnet, auch wenn die Grundlage dieser Einschätzung viel aus Schönrederei bestehe. "Alle bisherigen Blasenmärkte waren extrem überbewertet, so auch dieser. Überbewertung ist eine notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für ihr Platzen." Wann die derzeitige Blase tatsächlich platzen wird, kann Grantham nicht genauer bestimmen. Zwar könnte das Ende des Bullenmarkts ab sofort eintreten, die Kurse könnten sich in den nächsten Wochen oder Monaten aber auch durchaus noch erhöhen. "Es ist nahezu unmöglich, die Woche, den Monat oder das Quartal des Hochpunkts vorherzusagen." Wie lange sich die Blase noch hält, könnte aber durchaus mit dem weiteren Verlauf der Corona-Krise korrelieren. "Meine beste Schätzung, wie lange diese Blase überleben könnte, ist das späte Frühjahr oder der frühe Sommer, zeitgleich mit der breiten Einführung des COVID-Impfstoffs", so Grantham. "Zu diesem Zeitpunkt wird das dringendste Problem der Weltwirtschaft gelöst sein. Die Marktteilnehmer werden aufatmen, sich umschauen und sofort erkennen, dass die Wirtschaft immer noch in einem schlechten Zustand ist, die Stimulierung in Kürze mit dem Ende der COVID-Krise zurückgefahren wird und die Bewertungen absurd sind."
Großbanken geben in der Regel bullishe Empfehlungen ab
Abschließend klärt Grantham noch auf, wieso die Großbanken an ihren bullishen Zielen festhalten, obwohl alles auf eine Blase hindeutet. "Die Kombination aus zeitlicher Ungewissheit und schnell wachsendem Bedauern auf Seiten der Kunden bedeutet, dass das Karriere- und Geschäftsrisiko, die Blase zu bekämpfen, für große kommerzielle Unternehmen zu groß ist", so der Stratege. 1999 habe die Schweizer Großbank UBS eine ähnliche Einschätzung geteilt wie GMO und vor einem sich androhenden Bärenmarkt gewarnt. Im Februar 2000, kurz bevor der Markt sein Hoch erreichte, wechselten die Schweizer aber zu einer Wachstumsempfehlung. "Warten Sie also nicht darauf, dass die Goldmans und Morgan Stanleys baerish werden: Das kann niemals passieren", rät der Experte. "Für sie ist es eine furchtbar unkommerzielle Wette. […] Profitabel und risikomindernd für die Kunden, ja, aber kommerziell unpraktisch für die Berater."
Anleger sollten sich nach Einschätzung von Grantham gegen US-Wachstumsaktien entscheiden und in einen Mix aus Value- und Emerging-Markets-Aktien investieren. "Täuschen Sie sich nicht - für die Mehrheit der heutigen Anleger könnte dies sehr wohl das wichtigste Ereignis in Ihrem Anlegerleben sein", betont er. "Es ist ein Privileg, einen Markt wie diesen noch einmal zu durchlaufen."
Redaktion finanzen.at
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