17.06.2016 21:57:37
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Börsen-Zeitung: Zurück ins Mittelalter?, Marktkommentar zum Brexit von Dieter Kuckelkorn
Während die aktuellen Umfragen zeigen, dass sich der britische Wähler von diesen düsteren Perspektiven nicht so recht beeinflussen lässt, liegen an den Märkten die Nerven blank. Der Dax ist von mehr als 10.300 Punkten unter die Marke von 9.500 Zählern gerutscht. Euro und Pfund stehen unter Druck, während die Marktteilnehmer in sichere Häfen wie Schweizer Franken und Yen fliehen. Investoren schichten in großem Umfang von Aktien in Anleihen um. Bei Bundesanleihen ist inzwischen die Rendite der gesamten Zinskurve bis einschließlich zehn Jahren Laufzeit negativ, in der Schweiz ist sogar die Verzinsung der 30-jährigen Staatsanleihe ins Negative gerutscht.
Dabei wird befürchtet, dass ein Brexit noch nicht vollständig eingepreist ist, zumal es gemäß den Umfragen, die noch immer eine größere Zahl Unentschlossener ausweisen, auch durchaus zu einem Votum für den Verbleib innerhalb der EU kommen könnte. Wenn das Ereignis noch nicht ausreichend vorweggenommen ist, droht dann ein Armageddon an den Märkten, falls die Briten wirklich der EU den Rücken kehren?
Die jüngsten Prognosen von Analysten zeigen jedenfalls Besorgnis. Die Experten der Landesbank Hessen-Thüringen (Helaba) weisen darauf hin, dass klassische Angstindikatoren wie die implizite Aktienvolatilität mit dem Näherrücken des Referendums sprunghaft angestiegen sind. Der Pessimismus sei inzwischen ähnlich ausgeprägt wie im Februar, als Wachstumsängste ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht hätten. Unterstellt man, dass Aktien einen möglichen Brexit mit der gleichen Wahrscheinlichkeit von etwa 40 Prozent eingepreist haben wie die Buchmacher in London, ergibt sich nach Ansicht der Helaba-Experten für den Fall eines tatsächlichen Ausscheidens rein rechnerisch für den Dax zunächst ein Rückschlagpotenzial bis in den Bereich von 8.500 bis 8.000 Punkten. Die auf Risikomodelle spezialisierte Research-Firma Axioma vertritt die Auffassung, dass den europäischen Aktienmärkten ein Einbruch von 24 Prozent droht.
Die Ökonomen der Citigroup halten es für möglich, dass sich die Flucht in Qualität weltweit zuspitzt, so dass selbst die Rendite zehnjähriger US-Treasuries in negatives Terrain fallen könnte. Und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker spricht gar von einer längeren Phase großer Ungewissheit, die nicht nur Europa, sondern die ganze Welt in Mitleidenschaft ziehen werde.
Während im Fall eines Votums der britischen Wähler für einen Brexit kurzfristig in der Tat mit heftigen Turbulenzen an den Märkten gerechnet werden muss, ist es jedoch fraglich, ob diese länger anhalten. So ist es nämlich keine ausgemachte Sache, dass es im Fall einer Entscheidung für den Brexit zu einer echten ökonomischen Trennung Großbritanniens von der EU kommt. Wahrscheinlicher ist, dass ein Status für die Insel ausgehandelt wird, der dem Land die wesentlichen ökonomischen Vorteile der EU-Mitgliedschaft erhält, so dass nur das politische Mitspracherecht in Brüssel wegfällt bzw. künftig hinter den Kulissen ausgeübt wird. Ausgeschlossen werden kann auch nicht, dass das mehrheitlich für einen Verbleib in der EU eintretende britische Parlament das Votum der Wähler - nach einer Karenzzeit - schlicht ignoriert, zumal es rechtlich nicht bindend ist.
Dies alles wissen natürlich auch die Akteure an den Kapitalmärkten. Dass die Turbulenzen an den Märkten dennoch recht deutlich ausgefallen sind, legt den Verdacht nahe, dass aktuell nicht nur Brexit-Angst eine Rolle spielt. Offensichtlich machen sich viele Marktteilnehmer - wie schon im Februar - wegen der sich eintrübenden globalen Konjunkturaussichten erhebliche Sorgen. Diese Befürchtungen dürften aber mittlerweile hinreichend eingepreist sein, so dass aus dieser Perspektive den Märkten vorerst wenig zusätzliches Ungemach droht. Wenn man dann noch davon ausgeht, dass die Marktteilnehmer die Brexit-Katastrophenrhetorik eher kaltlässt, darf vermutet werden, dass an den Kapitalmärkten die Juncker'sche Prophezeiung keine Realität wird.
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