08.02.2013 15:00:30
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Börse Frankfurt/Halvers Woche: "Der politische Missbrauch der EZB"
Halver
8. Februar 2013 MÜNCHEN (Baader Bank). So schnell kann es gehen. Herrschte noch bis vor wenigen Tagen die Happy Hour in Euroland vor, sorgt plötzlich politische Verunsicherung wieder für Ernüchterung. Jetzt kommen die Einschüsse aber nicht aus kleinen Euro-Ländern, sondern aus großen für den Euro systemrelevanten Nationen. So befürchten viele, dass am Ende der spanischen Regierungskrise Neuwahlen mit einem Ende der Reformbewegung stehen könnten.
Es kann der Stabilitäts-Frömmste nicht in Euro-Frieden leben, wenn es dem italienischen Nachbarn nicht gefällt
"Die politische Spaßbremse"
Im Vorfeld der regulären Nationalwahl in Italien rufen die steigenden Umfragewerte für die Euro-Spaßbremse, Silvio Berlusconi, ebenso keine Entzückungen an den Finanzmärkten hervor. Bei einem wie auch immer gearteten Polit-Comeback dieses liberalsten aller Polit-Liberos wird ein Rückfall in die Steinzeit europäischer Nationalstaaterei befürchtet, in der sich jeder - wie Pipi Langstrumpf - die Welt so macht, wie es ihm gefällt. Seine unverhohlene Drohung oder besser Erpressung, Italien aus der Eurozone zu führen, falls nicht das deutsche Spardiktat gebrochen wird und die EZB - hinter vorgehaltener Hand - nicht zu einem Staatsschuldendecker ohne reformistische Gegenleistungen wird, sollte nicht nur als bloßes Wahlkampfgetöse abgetan werden. Ihm - das zeigt die Vergangenheit - ist alles zuzutrauen.
Müßiggang ist aller Laster Anfang
"Geldpolitik schafft keine blühenden Konjunktur-Landschaften"
Natürlich war die Krise in Euroland nie beendet, sie wurde nur an den Finanzmärkten unsichtbar gemacht. Dieses Kunststück, aus Wasser Wein zu machen, ist dem Schutzpatron der euroländischen Kapitalmärkte, Mario Draghi, bei Renten und Aktien sicherlich geglückt. Dazu hat man einfach den Hütehund der Marktwirtschaft vom Euro-Finanzhof gejagt und durch den Kettenhund einer anleihemarkt-dirigistischen Geldpolitik ersetzt.
Ein geldpolitisches "Wunder gibt es immer wieder" à la Katja Ebstein wird jedoch in der realen Wirtschaft nicht stattfinden. Denn auch mit der freizügigsten EZB werden aus prekären Volkswirtschaften keine blühenden Landschaften. Natürlich kann die EZB angeschlagenen Staaten bei ihrer schuldenfinanzierten Konjunkturbelebung mit Zinserniedrigungen und Liquiditätsschwemmen unter die Arme greifen. Langfristig unterstützt sie damit jedoch nur die Einbahnstraße einer zunehmenden Überschuldung und einbrechenden Schuldentragfähigkeit ohne jedoch nachhaltige Perspektiven mit realem Wohlstand durch Investitionen und Arbeitsplätze zu schaffen.
Denn eins ändert sich nie: Perspektive kommt nur durch Reformen, Innovation und harte Arbeit. Wie dies funktioniert, zeigt das "Modell Schweden". Statt den staatlichen Müßiggang zu finanzieren, setzt Schweden auf Leistungsanreize. So wurde aus dem alten, fast bankrotten Sozialstaat eine moderne, wachsende und stabilitätsorientierte Volkswirtschaft geformt.
Warum zum Buffet gehen, wenn einem das Buffet gebracht wird
"Die Marktwirtschaft pfeift aus dem letzten Loch"
Und Euroland? Beseelt vom Versprechen Mario Draghis, zur Not Staatsanleihen unbegrenzt aufkaufen zu wollen, lehnen sich die euroländischen Spitzenpolitiker in breiter Selbstgefälligkeit zurück und lassen die Zügel der Reformaktivitäten schleifen. Ich erwarte doch zumindest, dass die angeschlagenen Euro-Länder den Steilpass geldpolitisch gedrückter Staatsanleiherenditen aufnehmen, um befreit von Störmanövern der Finanzmärkte jetzt konsequent Reformwege zu beschreiten.
Stattdessen scheint der Müßiggang staatlicher Alimentierung mit Frankreich als seinem starken Leitwolf wieder schwer in Mode gekommen zu sein. Der Club Med hat das Sagen. Damit pfeifen die Marktwirtschaft und die Stabilität in der Eurozone aus dem letzten Loch. So hört man von Politikern viel über Gerechtigkeit, aber nichts von Rezepten, wie man in der Peripherie wirklich nachhaltiges Wachstum erreichen will. Es reicht nicht, zu sagen, man sei auf einem guten Weg. Wer abnehmen will und zwei Gramm verloren hat, ist auch auf einem guten Weg. Das reicht aber nicht. Nicht der Weg ist das Ziel, das Ziel ist das Ziel: Die Patienten müssen weg von der Intensivstation staatlicher Gesundbetung und wieder auf eigenen wirtschaftlich stabilen Beinen gehen. Dann erst ist die Euro-Krise vorbei.
Appeasement-Politik der EZB
"Die Politik greift in das Lenkrad der Geldpolitik"
Wie wird man sich wohl angesichts des herrschenden euroländischen Zeitgeists verhalten, wenn Spanien oder Italien tatsächlich an die Grenzen ihrer Schuldentragfähigkeit kommen? Schauen wir nach bei den Angeln und Sachsen und Japanern: Die Bank of England deckt 30 Prozent, die US-Notenbank 40 Prozent und die Bank of Japan mehr als die Hälfte der staatlichen Neuverschuldung ab. Und die Notenbankzinsen in Amerika und Japan liegen bei Null und Null, bei uns noch bei 0,75 Prozent. Das macht den Euro für den Export viel zu teuer, der nach dem Willen des französischen Staatspräsidenten ohnehin auch aktiv gesteuert werden sollte.
Jetzt mal ehrlich: Hat die EZB nicht alles mit Zeitverzögerung nachgemacht, was die anderen Notenbanken vorgemacht haben und was politisch opportun war? Der politische Druck oder auch einfach die politische Erpressung wird die EZB zu einer beschwichtigenden Geldpolitik der staatlichen Barmherzigkeit drängen. Wenn es sein muss, wird auch noch das letzte Stabilitätsgeschirr geopfert, damit Ruhe im Euro-Karton ist.
Auf die Unabhängigkeit der EZB würde ich nicht mehr schwören. Die Politik sitzt zwar nicht auf dem Fahrersitz, aber auf dem Beifahrersitz und ist wohl der Meinung, wie ein Fahrlehrer, mindestens ab und zu ins Lenkrad greifen zu müssen.
· "Der politische Missbrauch der EZB", online auf baaderbank.de verfügbar. Halvers ausführliche wöchentliche Marktbetrachtung ist auch als Newletter abonnierbar.
Autor: Robert Halver, Leiter Kapitalmarktanalyse der Baader Bank.
Dieser Artikel gibt die Meinung des Autors wieder, nicht die der Redaktion von boerse-frankfurt.de. Sein Inhalt ist die alleinige Verantwortung des Autors.
© 8. Februar 2013/Baader Bank AG
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February 08, 2013 08:30 ET (13:30 GMT)- - 08 30 AM EST 02-08-13
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