30.06.2019 11:59:45
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BIZ sieht Weltwirtschaft von langfristigen Faktoren gebremst
Von Hans Bentzien
FRANKFURT (Dow Jones)--Die aktuelle Abschwächung des Weltwirtschaftswachstums beruht nach Einschätzung der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) auch auf langfristig wirkenden Faktoren. In ihrem aktuellen Jahresbericht nennt die BIZ den veränderten Inflationsprozess, die Bedeutung der Finanzwirtschaft für die Volkswirtschaft, das mangelnde Produktivitätswachstum und schließlich die jüngsten Rückschläge für die internationale offene Wirtschaftsordnung. Die Auswirkungen der Handelspolitik hält die BIZ für langfristig schwerwiegend, aber auch schwer kalkulierbar, und die produktivitätsrelevanten Faktoren für sehr träge. In ihrem Jahresbericht widmet sie sich daher vor allem der Rolle der Finanzen und des Inflationsprozesses.
1. Inflationsprozess
Der Inflationsprozess ist entscheidend für die Ausgestaltung der Geldpolitik. Obwohl viele Volkswirtschaften nahe an ihrer Kapazitätsgrenze arbeiten, bleibt die Inflation niedrig. Die BIZ sieht die Ursache in der Globalisierung, dem technischen Fortschritt und demografischen Faktoren. Zudem sei es den Arbeitnehmern nicht gelungen, die in den vergangenen Jahrzehnten verlorene Verhandlungsmacht zurückzugewinnen. Auch in Ländern, wo die Lohnanstiege höher als die Produktivitätszuwächse ausfielen, hätten viele Unternehmen nicht die Preismacht, diese Kosten auf ihre Verkaufspreise umzulegen.
Zudem weist die BIZ auf ein ihrer Ansicht nach zu wenig beachtetes Phänomen hin: Seit vor etwa 30 Jahren die Phase einer niedrigen und stabilen Inflation begonnen habe, habe sich die Natur der Konjunkturzyklen verändert. Abschwünge würden nicht mehr von einer stark steigenden Inflation und den Reaktionen der Geldpolitik darauf eingeleitet. Stattdessen spielten Finanzzyklen einer prominentere Rolle.
Sollte die Inflation ab einem bestimmten Punkt stark anziehen, würde das zu einer Straffung der Geldpolitik führen. Dies wiederum würde Spannungen an den Finanzmärkten auslösen und hoch verschuldete private und öffentliche Schuldner unter Druck setzen. Sollte die Inflation weiterhin unter dem Zielwert der Zentralbanken bleiben, könnten die Rahmenbedingungen unverändert bleiben. Das würde allerdings auch eine anhaltend hohe Risikoneigung der Investoren und zunehmende Schwachstellen im Finanzsystem bedeuten.
2. Finanzen
Seit der großen Finanzkrise schenkt die Politik den Finanzmärkten, der Kreditentwicklung und Immobilienpreisen eine viel größere Beachtung als zuvor. Auch hätten grenzüberschreitende Kapitalströme eine große Bedeutung erlangt, für die vor allem Schwellenländer sehr sensibel seien. Laut BIZ befindet sich eine Gruppe von Ländern, die wenig von der Finanzkrise betroffen waren, derzeit am Ende des expansiven Teils des Finanzzyklus. Einziges systemisch wichtiges Mitglied dieser Gruppe sei China, wo die Regierung die Verschuldung reduzieren wolle, ohne das Wachstum zu bremsen. Die BIZ erwartet, dass diese Länder das Wachstum noch längere Zeit belasten werden.
In einigen stark von der Finanzkrise betroffenen Ländern wie den USA und einigen europäischen Ländern ist die an den Einkommen gemessene Verschuldung der privaten Haushalte gesunken, während die Unternehmensfinanzierung "heiß laufe". Die BIZ erwartet, dass diese Finanzexpansion das Wachstum vorerst auch weiter stützen wird. Als "potenzielle Überhitzungssymptome" nennt die BIZ das hohe Aufkommen an Kreditverbriefungen (CLO - Collateralised Loan Obligations) und den auf 3 Billionen US-Dollar gewachsenen Markt für Leveraged Loans. Die Emissionen konzentrierten sich auf die USA und Großbritannien, die Käufer dieser Papiere seien wegen der Nachfrage nach Rendite aber breit verteilt.
Sollten diese hoch verschuldeten Unternehmen Probleme bekommen, hingen die volkswirtschaftlichen Auswirkungen laut BIZ davon ab, wie stark sich diese Probleme über die Banken ausbreiteten - zum Beispiel über Preiseffekte, die von einer instabil werdenden Finanzierungsseite (Wholesale Funding) ausgingen. Wie stark die wirtschaftlichen Auswirkungen ausfallen könnten, lässt sich der BIZ zufolge daran ablesen, welchen hohen Anteil Wertpapiere mit einem BBB-Rating in einigen Ländern am insgesamt ausstehenden Emissionsvolumen inzwischen hätten.
3. Produktivitätswachstum
Das Produktivitätswachstum in den Industrieländern sinkt seit langem und hat sich seit der großen Finanzkrise weiter abgeschwächt. Dabei dürfte das beschädigte Finanzsystem eine Rolle gespielt haben. Und auch die Tatsache, dass der Welthandel langsamer als die Produktion wächst und die Investitionen entsprechend schwach sind, ist laut BIZ kein Zufall. "Das langsamere Produktivitätswachstum behindert nachhaltige Expansionen in den Industrieländern", konstatiert die BIZ.
4. Rückschläge für die offene Wirtschaftsordnung
Die BIZ spricht von "sozialen und politischen" Rückschlägen für die offene internationale Wirtschaftsordnung. Protektionismus und Handelskonflikte sind laut BIZ keinesfalls alleine für die jüngste Wachstumsverlangsamung verantwortlich, weil die Verlangsamung von Handel und Produktivität schon deutlich länger als zwei Jahre währten. Gleichwohl habe der Handelskonflikt die Unsicherheit erhöht und den Abschwung beschleunigt. Gleichwohl warnt die BIZ: "Solche Stimmungen kommen nicht selten im Vorfeld großer ökonomischer Schockwellen auf, die Große Depression markierte das Ende der damaligen Globalisierung."
Wie soll die Politik auf diese vielen Herausforderungen reagieren? Die Ratschläge der BIZ klingen wie so oft anders als das, was gegenwärtig im politischen Raum diskutiert wird: "Es braucht einen neuen Politik-Mix. Ein höheres nachhaltiges Wachstum kann nur durch eine geringere Abhängigkeit von Schulden und ein höheres Produktivitätswachstum erreicht werden", heißt es in dem Jahresbericht. Das würde auch die derzeit stark beanspruchte Geldpolitik etwas entlasten.
Die BIZ warnt davor, die nach der Finanzkrise gestrafften Regeln für den Finanzsektor wieder zu lockern. Hoch verschuldeten Ländern rät die BIZ zu einer Konsolidierung ihrer Finanzen, während Länder mit finanziellem Spielraum diesen klug nutzen sollten. Darunter stellt sich die BIZ Maßnahmen vor, das Steuersystem und die Ausgaben wachstumsfreundlicher zu gestalten.
Kontakt zum Autor: hans.bentzien@dowjones.com
DJG/hab/jhe
(END) Dow Jones Newswires
June 30, 2019 06:00 ET (10:00 GMT)
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