01.09.2018 23:43:42
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BERLINER MORGENPOST: Lehren aus Chemnitz / Leitartikel von Christian Unger zu Rechtsextremismus
Der vollständige Leitartikel: Es ist falsch, zu sagen: Nichts ist
passiert. Die Bundesregierung hat Millionen Euro in Projekte
investiert, die den Kampf gegen Rassismus stärken sollen. Auch in
Sachsen. Die Stadt Chemnitz gab jedes Jahr 80.000 Euro aus für
Initiativen, die Weltoffenheit fördern sollen. Eine mobile
Polizeiwache ist Anlaufstelle für verängstigte Bürger. Richtig ist
auch: Das ist zu wenig. Längst hätte die Landesregierung in Sachsen
einen Notfallplan auflegen müssen. Militante Netzwerke sind seit den
1990er-Jahren dort fest verankert. Was in Chemnitz passiert, ist nur
möglich, weil diese rechtsextreme Szene nie entschlossen bekämpft
wurde. Und weil sie beim Thema Flüchtlinge vor allem im Osten spürt,
dass ihre Parolen bis in die Mitte auf Widerhall stoßen. Es ist Zeit,
einzuschreiten - der Kampf gegen Rechtsextremismus hat viele Fronten:
bei der Polizei, in den Schulen, in den Stadtteilen, im Internet, in
den rechten Gruppierungen. Die Polizei: Seit 2015 polarisiert sich
der Meinungsstreit zwischen Gegnern und Befürwortern einer liberalen
Flüchtlingspolitik - auch auf der Straße. Immer wieder eskaliert die
Lage, wie jetzt in Chemnitz. Polizisten stehen mittendrin, hören
permanent Parolen der Rechten. Die Polizei muss ihre Resilienz gegen
Hetzer und Demokratiefeinde stärken. Je polarisierter Debatten auf
die Straßen getragen werden, desto wichtiger ist ein
demokratiestabiler und geschult neutraler Einsatzbeamter.
Fortbildungen dürfen nicht mehr ausfallen, weil Überstunden und
Stadioneinsätze die Polizei an ihre Grenze bringt. Die Schulen: Das
Klassenzimmer kann Keimzelle neuer rechter Bewegungen sein. Es kann
aber auch der beste Schutz vor Radikalisierung sein. Pläne in
Sachsens Regierung für ein Schulfach "Wertekunde" gibt es schon. Das
muss schnell umgesetzt werden - doch mit einem neuen Lehrplan ist es
nicht getan. Lehrer brauchen Unterrichtsmaterial und Wissen, um
Demokratie so zu verankern, dass die Inhalte nicht wie ein staatlich
verordnetes Ideologie-Briefing bei den Schülern ankommen. Die
Stadtteile: Rechtsextremisten haben Hochburgen. Chemnitz ist so eine,
schon der rechtsterroristische NSU um Beate Zschäpe zog hierher.
Deshalb muss der Staat den Kampf gegen Anti-Demokraten lokal führen
und er braucht dafür die Menschen vor Ort. Sozialarbeiter, Leiter und
Pädagogen in Jugendzentren. Aber auch Psychologen müssen in der
Stadtteilarbeit eine viel stärkere Rolle spielen. Oftmals steckt
hinter einer Radikalisierung ein Mensch, der Hilfe sucht. Das
Internet: Straße, Schule, Jugendzentrum - all das sind Orte, in denen
Rechtsextremisten nach Anhängern für ihre Hetze fischen. All das aber
ist seit dem Aufstieg von sozialen Netzwerken wie Twitter und
Facebook in den Hintergrund gerückt. Der Staat muss Vereine aufbauen
und schulen, die als professionelle Deradikalisierer in die Debatten
im Internet eingreifen - und gegenhalten. Nicht verdeckt, sondern
offen muss die Zivilgesellschaft Flagge zeigen. Rechtsextreme
Gruppen: Seit Jahren reden Regierende in Sachsen davon, dass Hass und
Gewalt keinen Raum haben dürfen. Seit Jahren aber breiten sich Hass
und Gewalt aus. In Chemnitz, Heidenau, Freital.
Schwerpunkt-Staatsanwaltschaften müssen stärker gegen Neonazi-Gruppen
vorgehen. Straftaten wie Volksverhetzung und das Zeigen von
Hitlergrüßen müssen schneller geahndet werden. Im Kampf gegen
Islamisten hatten Polizei und Justiz Erfolg mit Vereinsverboten und
harten Urteilen . Im Kampf gegen rechts muss das ebenso gelten -
gerade für Sachsen. Warnende Worte reichen nicht mehr.
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