10.03.2016 17:30:47
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AUSBLICK/AfD setzt zum großen Sprung an
Von Christian Grimm
BERLIN (Dow Jones)--Eigentlich war die AfD vor einem Dreivierteljahr mausetot. Parteigründer Bernd Lucke kehrte nach einem zermürbenden Machtkampf mit Frauke Petry seiner Partei entnervt den Rücken. Die Galionsfigur ging von Bord, die Spaltung drohte. Neun Monate später ist die Alternative für Deutschland stärker als jemals zuvor. Die Partei setzt an zum großen Sprung in die Landtage. Die Hoffnung der etablierten Konkurrenz, sie werde ein lokales Phänomen in Ostdeutschland bleiben und bald wieder verschwunden sein, hat sich als Illusion erwiesen.Selbst im wohlhabenden Baden-Württemberg könnte es der AfD gelingen, mit einem zweistelligen Ergebnis in das Parlament in Stuttgart einzuziehen. Die Kommunalwahlen in Hessen waren ein Vorgeschmack. In Sachsen-Anhalt stehen die Rechtskonservativen in der Wählergunst sogar bei knapp unter 20 Prozent und auch in Rheinland-Pfalz sollte die 5-Prozent-Hürde locker genommen werden.
Auferstanden durch die Flüchtlingskrise "Natürlich verdanken wir unseren Wiederaufstieg in erster Linie der Flüchtlingskrise", benannte Partei-Vize Alexander Gauland kürzlich entwaffnend ehrlich den Grund für das neue Hoch der AfD. Für Wähler, die Angela Merkels (CDU) Politik der offenen Grenzen für Flüchtlinge ablehnen, ist sie die einzige Option mit Hoffnung auf Erfolg. Alle anderen großen Parteien - mit Ausnahme der CSU - stützen Merkels Kurs. Für die AfD genügt es derzeit, den Protest zu bündeln und sich davon tragen zu lassen.
Daran ändern auch schlimme Ausfälle wie die von Parteichefin Frauke Petry nichts, die im Notfall an der Grenze auf Flüchtlinge schießen lassen will. Auch die persönlichen Grabenkämpfe im Bundesvorstand der Partei sind alles andere als befriedet und können jederzeit mit Macht zurückzukehren. Der Spaltpilz sitzt tief, was die Wähler aber nicht schreckt. "Wir sind noch immer ein gäriger Haufen", räumte Gauland kürzlich ein.
Dennoch hat die AfD gute Chancen, sich dauerhaft im Parteiensystem zu verankern. Zieht sie am Sonntag in die drei Landtage ein, wäre sie in der Hälfte der Bundesländer parlamentarisch vertreten. Für ihre Professionalisierung ist das ein wichtiger Schritt, weil so aus Feierabend- Berufspolitiker werden. Referentenposten und wissenschaftliche Mitarbeiterstellen in den Fraktionen schaffen auch organisatorisch eine solidere Arbeitsgrundlage.
Auch finanziell kommt die Partei voran. Je mehr Stimmen sie auf sich vereint, desto mehr Geld steht ihr aus der staatlichen Parteienfinanzierung zu. So erhalten Parteien auch bei Landtagswahlen unter anderem 0,70 Euro für jede abgegebene gültige Stimme.
Das Kernthema Flüchtlinge und Integration kann die AfD Jahre tragen Viel wichtiger für den Erfolg der Partei ist jedoch die anhaltende Brisanz des neuen Kernthemas Flüchtlinge und Migration. Die Aufgabe der Integration wird Jahre dauern und gesellschaftlich für Reibung sorgen. Denn noch sind kaum Wohnungen für Asylbewerber gebaut, geschweige denn neue Lehrer eingestellt oder Kindergärten erweitert. Der Kampf um Arbeit zwischen Flüchtlingen und Einheimischen hat auch noch nicht eingesetzt. Deutschland ringt noch mit der Erstaufnahme der ankommenden Massen.
Hinter dem Erfolg der AfD steckt aber noch mehr als die Ablehnung von Flüchtlingen. Es ist der tiefe Frust und das Unbehagen über das politische System der Parteieliten, über wahrgenommene Tabus und politische Korrektheit. Die in der Hauptstadtblase oder in Brüsseler Nachtsitzungen von Politikern, Lobbyisten und Journalisten gemachte Politik erreicht einen wachsenden Teil der Wähler nicht mehr. Das spiegelt sich in der stark rückläufigen Wahlbeteiligung wider, auf der anderen Seite der Medaille aber auch im Aufstieg der Rechtskonservativen. Neben den Grünen ist die AfD die einzige Partei, die massiv Mitglieder hinzugewinnt. Laut eigenen Angaben sind es nach der Austrittswelle in Folge des Lucke-Abgangs wieder 20.000.
Die AfD wird nicht verschwinden Gegen die Hoffnung bei Union, SPD, Grünen und FDP, wonach die Herausforderer von rechts das gleiche Schicksal wie die in der Bedeutungslosigkeit versunkenen Republikaner erleiden werden, spricht die Verschiebung im Parteiensystem. In den 80er und 90er Jahren war die CDU noch eine konservative Partei, die den rechten Rand der Wählerschaft abdecken konnte. Nach anderthalb Jahrzehnten mit Angela Merkel als Vorsitzender ist davon nichts mehr übrig. Ihre Flüchtlingspolitik der weit geöffneten Grenzen ist dafür nur das augenfälligste Sinnbild, das die Union den konservativ-nationalen Teil ihrer Wählerschaft hinter sich gelassen hat.
Die AfD wird am Sonntag zusätzlich davon profitieren, dass nur noch rund die Hälfte der Wähler bei Landtagswahlen ihre Stimme abgeben. Das stärkt kleinere Parteien. Bei den Bundestagswahlen 2017 mit höherer Wahlbeteiligung dürften die Ergebnisse der AfD einen Grad bescheidener ausfallen. Dennoch schickt sich die Alternative an, ein fester Bestandteil der deutschen Politik zu werden.
Kontakt zum Autor: christian.grimm@wsj.comDJG/chg/kgb
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March 10, 2016 11:00 ET (16:00 GMT)
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