11.10.2015 21:22:38

Allg. Zeitung Mainz: Blutige Logik / Kommentar zum Attentat in der Türkei, von Lars Hennemann

Mainz (ots) - Die Bilder sind wieder einmal grausam und schwer zu verarbeiten. Und dennoch sollte man mit vorschnellen Schuldzuweisungen nach dem Attentat auf die Demonstration in Ankara sehr vorsichtig sein. Erst recht, wenn sie an die Adresse von Präsident Erdogan gerichtet sind. Ihm ist bekanntlich einiges zuzutrauen, auch Gewalt gegen das eigene Volk. Aber ein solches Massaker - das geht ohne hieb- und stichfesten Beweis dann doch entschieden zu weit. Vielmehr deutet alles darauf hin, dass die Schlächter des sogenannten Islamischen Staats einmal mehr Blut an ihren Händen haben. Wem sonst könnte die Situation in der Türkei, bei der jetzt regierungstreue Gruppen und Kurden einander bis auf Weiteres bei jeder Gelegenheit mit gezückten Messern begegnen werden, mehr in die Karten spielen? Es wäre Destabilisierungs-Logik der ebenso effektivsten wie übelsten Sorte. Schlimm. Noch schlimmer ist allerdings, dass man mittlerweile in einer Region, die von Istanbul bis Islamabad reicht, mit allem rechnen muss. Jahrzehnte des Zündelns und Dilettierens (USA, Europa, Russland), Nicht-Frieden-Wollens (Israel, Palästina) und Terrrorfinanzierens (Iran, Saudi-Arabien) sowie die hasserfüllte Pervertierung einer Religion haben aus dem Teil der Welt, der einmal die Wiege der Menschheit war, ein gottloses Schlachtfeld gemacht. Und wer wie Erdogan glaubt, er könne darauf ein bisschen mitzündeln - zu lange nichts gegen den IS unternehmen und nebenbei die Kurden schwächen -, den holt der Terror schon bald im eigenen Land ein. Wenn sich diese Entwicklung fortsetzt, erleben Deutschland und die EU zurzeit nicht DIE Flüchtlingswelle des 21. Jahrhunderts, sondern gerade einmal die allererste Größere.

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