04.09.2014 16:12:58
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Aachener Nachrichten: Zeit der Falken - Die Nato fordert höhere Militärausgaben; Ein Kommentar von Joachim Zinsen
Aachen (ots) - Wir im Westen sind zu weich, zu naiv, unsere
Gesellschaft ist von pazifistischen Ideen durchsetzt. Deshalb kann
uns ein aggressiver Hasardeur wie Wladimir Putin auf der Nase
herumtanzen. Wir müssen endlich wieder in der Lage sein, klare Kante
zu zeigen. So oder ähnlich klingt es landauf und landab. Seit die
Ukraine-Krise zu einem neuen West-Ost-Konflikt eskaliert ist, segeln
politische Falken im Aufwind. Auch im Westen. Zum Verbalradikalismus
neigende Hardliner wie der Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen
klagen über mangelnden Wehrwillen und fordern von den
Mitgliedsstaaten der Allianz deutlich höhere Militärausgaben.
Ähnliche Töne sind prompt auch von Kommentatoren deutscher Leitmedien
zu hören. Geht es nach Rasmussen, sollen künftig alle Nato-Staaten
mindestens zwei Prozent ihres Bruttoinlandsproduktes für die
Verteidigung ausgeben. Deutschland müsste demnach seinen Wehretat
jährlich um 23 Milliarden Euro aufstocken. Eine Wahnsinnssumme. Die
Rüstungsindustrie hat die Champagner-Flaschen bereits kaltgestellt.
Wie immer werden solche Forderungen natürlich mit Statistiken
unterfüttert. Rasmussen betont gerne, dass in den west- und
mitteleuropäischen Staaten die Wehretats 2013 geschrumpft sind,
während Russland seinen erhöht hat. Es bezieht sich dabei auf
Erhebungen des schwedischen Rüstungsforschungsinstituts Sipri. Andere
Zahlen der weltweit anerkannten Experten verschweigen Rasmussen und
seine Hintersassen allerdings geflissentlich. Laut Sipri lag Moskaus
Wehretat im vergangenen Jahr bei geschätzten 87,8 Milliarden Dollar.
Großbritannien, Frankreich und Deutschland gaben hingegen für ihr
Militär insgesamt rund 168 Milliarden Dollar aus. Die USA sogar 640
Milliarden Dollar. Allein diese vier Nato-Staaten hatten also 2013
einen neunfach höheren Verteidigungshaushalt als die Russen. Wie
passt das in Rasmussens Erzählung vom schlappen Westen und vom
hochgerüsteten Russland? Nein, das Problem der Nato ist ein anderes.
Seit zwei Jahrzehnten steckt das Bündnis in einer Sinnkrise. Nach
Ende des Kalten Krieges gab es keinen Feind mehr. Putin kommt jetzt
wie gerufen, um diese Lücke zu füllen, um der Allianz und dem
Militärischen wieder eine größere politische Bedeutung zu
verschaffen. Ja, der Kreml-Chef greift nach der Ostukraine. Über
Gründe und Ursachen des Konflikts lässt sich sicherlich streiten.
Aber Putin bedroht kein Nato-Land. Die Ängste vor Russland in den
baltischen Staaten und in Polen sind natürlich historisch erklärbar.
Aber nichts deutet darauf hin, dass Moskau irgendetwas gegen sie im
Schilde führt. Bauen wir also keine wilden Bedrohungsszenarien auf,
hören wir auf mit dem Säbel zu rasseln, verweigern wir uns einem
neuen Rüstungswettlauf. Statt sich der irren Logik des Militärischen
zu unterwerfen, muss der Westen weiter auf Diplomatie setzen. Nur so
lässt sich die Ukraine-Krise entschärfen. Das ist ein mühsames
Geschäft. Aber der andere Weg endet für Europa schnell in einer
Katastrophe.
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