07.09.2017 23:03:56
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Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zur EZB-Zinspolitik
Bielefeld (ots) - Ein Autofahrer nimmt den Fuß vom Gaspedal, wenn
sich der Straßenbelag ändert, die Umgebung eine andere wird oder wenn
sich das Fahrzeug einer Kurve nähert. Nicht so Mario Draghi. Der
Präsident der Europäischen Zentralbank weiß, dass die Genehmigung für
den massiven Aufkauf von Staatsanleihen Ende 2017 ausläuft. Die
Inflationsrate hat mit 1,8 Prozent in Deutschland und 1,5 in Europa
die Zielmarke von 2,0 Prozent fast erreicht. Die Konjunktur in der EU
befindet sich im vierten Jahr im Aufschwung. Der Euro hat gegenüber
Dollar und Pfund eine Stärke erreicht, die bereits den Export
belastet. Doch Draghi und die EZB fahren weiter ihren Kurs, bei dem
sie die Volkswirtschaften mit Geld überschwemmen. Zwar hatten die
wenigsten zuletzt erwartet, dass die Währungshüter bereits im
September die Zinswende einläuten. Doch eine Aussage über den
weiteren Kurs beim Anleihenkauf war das Mindeste, was man von Draghi
erwarten konnte. Offenbar will er aber auch im kommenden Jahr die
Geldschleusen offen halten. Die Zustimmung der Mehrheit der Staaten
in der Euro-Zone ist ihm sicher - schon weil sich die Regierenden
weniger Gedanken um eine Reduzierung der Ausgaben machen müssen. 60
Milliarden Euro pumpt die EZB beim Kauf von Staatsanleihen in den
Wirtschaftskreislauf - und zwar monatlich. Um den Betrag einzuordnen,
hilft möglicherweise ein Blick auf den aktuellen Bundeshaushalt. 60
Milliarden Euro sind einiges mehr, als den Bundesministerien für
Wirtschaft und Energie, Bildung und Forschung, Umwelt und Bau,
Verkehr sowie Entwicklungshilfe (wirtschaftliche Zusammenarbeit) zur
Verfügung steht - insgesamt und im ganzen Jahr. An nichts gewöhnt man
sich schneller als an gute Zeiten. Gut sind die Zeiten außer für die
Staaten und ihre Finanzminister auch für private Kreditnehmer. Ob nun
der Verbraucher ein Auto oder Haus kauft oder ob ein Betrieb Geld für
Investitionen braucht: Natürlich erleichtert ein Zinssatz von
teilweise unter zwei bis vier Prozent das Schuldenmachen. Draghi
spielt auf Zeit. Je länger aber diese Phase dauert, desto größer ist
der Gewöhnungseffekt. Die Gefahr, dass es am Ende zu einer
Vollbremsung kommt und dass Staaten und Unternehmen ins Schleudern
geraten, ist riesig. Gegner und Leidtragende der EZB-Politik sind vor
allem Banken, Sparkassen, Versicherungen und am Ende die Sparer. Weil
Einlagen bei der EZB sogar mit einem Strafzins belegt werden,
erhalten selbst Kleinanleger seit geraumer Zeit so gut wie keine
Zinsen. Ihr Geld verliert in der Realität sogar an Wert. Folgerichtig
haben die Politiker ihre jahrzehntelangen Versuche, die Menschen zu
bewegen, Geld fürs Alter zurückzulegen, weitestgehend eingestellt -
eine Belastung, die noch auf die Gesellschaft insgesamt zukommen
wird.
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Pressekontakt: Westfalen-Blatt Chef vom Dienst Nachrichten Andreas Kolesch Telefon: 0521 - 585261
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