09.11.2016 23:32:37
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Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zur US-Wahl
Der Befund ist dramatisch: Der »common sense« - diese stille, aber lange wirkungsvolle Übereinkunft über das, was westliche Demokratien und ihre unvergleichlichen Vorteile ausmacht - erodiert in einem rasanten Tempo. Wladimir Putin, Recep Tayyip Erdogan, Viktor Orban - sie und viele andere reiben sich die Hände. Die Gefahr jedoch ist noch näher. Viel näher, als wir uns das in unserer gemütlichen Selbstzufriedenheit eingestehen wollen. Marine le Pen in Frankreich, Geert Wilders in den Niederlanden, die FPÖ und das Amt des Bundespräsidenten in Österreich. Für all das wirkt Trumps Triumph wie ein Aufputschmittel. Wiederholung keinesfalls ausgeschlossen!
Der Sieg des Republikaners Trump, der von weiten Teilen seiner Partei verachtet wird, mag einer Sensation gleichkommen. Die ungläubige Reaktion in Deutschland und weiten Teilen der Welt beweist aber auch: Die US-Amerikaner ticken anders, als wir uns das in der großen Mehrheit wünschen mögen. Ihre Entscheidung mag irrational sein, aber das ändert nichts.
Ja, wir sind auch Opfer eines großen Selbstbetruges geworden: Als Trump einer von vielen republikanischen Bewerbern war, hieß es, er werde sowieso nicht Präsidentschaftskandidat. Und als er Kandidat war, hieß es, der Mann habe keine Chance auf den Einzug ins Weiße Haus. Nun reiben wir uns verwundert die Augen - auch deshalb, weil nicht sein konnte, was nicht sein durfte. Offenbar genügt im postfaktischen Zeitalter ein einziger harter Fakt, um uns einen Schrecken und vielen sogar Angst einzujagen.
Die Demoskopen wie auch zahlreiche Medien müssen sich einmal mehr
fragen lassen, wie sie mit ihren Prognosen so meilenweit daneben
liegen konnten. Hat die Abneigung gegen Trumps pannenreiche und oft
peinliche Kampagne den Blick für die Realität in den USA verstellt?
Ist sein vermeintlich unprofessioneller und selbstentlarvender
Wahlkampf womöglich sogar der Garant für diesen grandiosen Erfolg
gewesen? Für das Bündnis mit seinen Anhängern jedenfalls brauchte
Trump das Wohlgefallen der Experten nicht. Im Gegenteil: Jede Kritik
an seinem Populismus - oft selbst im Ton des Populismus vorgetragen
hat die Reihen hinter ihm nur fester geschlossen. So darf man
gespannt sein, wie Außenminister Frank-Walter Steinmeier dem
neuen US-Präsidenten begegnen wird, den er kürzlich noch einen
»Hassprediger« genannt hat.
Ganze Landstriche sind in den Vorwahlanalysen vom Radar verschwunden. »Flyover country« nennen die Amerikaner das Phänomen, wonach auf die Stimmung in den USA ausschließlich mit Blick auf die Küstenregionen geschlossen wird. Was dazwischen liegt, ist das »flyover country« - das überflogene, sprich vergessene Land. Und dieses Land samt der Erfolge in fast allen Swing States hat Donald Trump zum 45. Präsidenten der USA gemacht. Die weißen, eher ungebildeten Männer haben ihm zur Macht verholfen, weil er sie im ungeahnten Maße mobilisieren konnte.
Das konnte nur gelingen, weil diese Wähler für sich andernorts keine Perspektive sahen. Schon gar nicht bei Hillary Clinton. Ihre Erfahrung in höchsten Staatsämtern war ein Pfund, mit dem sie nie zu wuchern vermochte. Im Gegenteil: Immer wieder konnte Trump sie als Mitglied einer abgehobenen Politikerkaste denunzieren, die mehr für sich als für das Allgemeinwohl arbeite. Zu viel blieb hängen, und längst nicht alle seiner Vorwürfe entbehrten jeder Grundlage. Für Hillary Clinton hat es nicht gereicht, nur das kleinere Übel zu sein. Eine Vision, einen Plan für ein besseres Amerika hat sie - anders als Bernie Sanders etwa - vermissen lassen. Das wurde gnadenlos bestraft.
Nun steht die bange Frage im Raum: Macht Donald Trump all seine Ankündigungen wahr? Seine erste kurze Dankesrede nach der gewonnenen Wahl mag manchen beruhigt haben. Ist da einer in Sekundenschnelle vom Saulus zum Paulus geworden? Vorsicht: Der versöhnliche Ton, den Trump anschlug, sollte niemanden in die Irre führen. Dieser Mann wird das Land nach ganz anderen Kriterien führen, als wir das bisher gewohnt waren. Big business zählt. Was das heißt: TTIP ist tot, die Nato nicht mehr heilig und zahlreiche geopolitische Koordinaten kommen auf den Prüfstand. Donald Trump muss gar nicht alle seine Drohungen wahr machen, um die Weltordnung noch mehr durcheinander zu bringen, als sie das ohnehin schon ist.
Dass er dabei dank der Kongress- Mehrheiten im Senat und im Repräsentantenhaus »durchregiert«, ist unwahrscheinlich. Zu tief ist der Graben zur republikanischen Partei. Zur Entwarnung taugt das aber leider nicht, denn das viel gepriesene System der »checks and balances« wird den unberechenbaren und in Teilen unbestreitbar gefährlichen Kurs Donald Trumps allein keinesfalls einzuhegen vermögen. Dazu sind die Machtbefugnisse eines US-Präsidenten einfach zu groß. Von seiner Rolle auf der weltpolitischen Bühne ganz zu schweigen.
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Pressekontakt: Westfalen-Blatt Chef vom Dienst Nachrichten Andreas Kolesch Telefon: 0521 - 585261
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