01.12.2013 18:54:58

Westdeutsche Zeitung: Auf dem Weg zur selbstgefälligen Koalition = von Martin Vogler

Düsseldorf (ots) - So ein Koalitionsvertrag ist keine Bibel, hat Altkanzler Gerhard Schröder einst gesagt. Wie wahr, denn sogar bei der Interpretation des aktuellen Papiers passiert Verblüffendes, bevor die SPD-Basis überhaupt zugestimmt hat. Während etwa die Union stolz betont, dass sie den sozialdemokratischen Wunsch nach Steuererhöhungen abgeschmettert hat, schließt bereits SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles just eine solche Mehrbelastung der Bürger nicht aus. Und in Sachen Pkw-Maut blickt angesichts ständig variierender Deutungen kaum jemand mehr durch: Sollen jetzt die Inländer doch stärker belastet werden? Was ist mit Bundesstraßen? Die Frage, wie es insgesamt weitergeht, wenn die große Koalition Routine ist, lässt Zweifel wachsen, ob sie wirklich die beste Lösung für das Land ist. Wobei die Angst der SPD, die Mitglieder könnten dem Koalitionsvertrag nicht zustimmen, gemindert sein dürfte. Hannelore Krafts Aussage, nie als Kanzlerin zu kandidieren, trägt dazu genauso bei wie das stete Werben der Führung bei Veranstaltungen im Land. Auch eine Umfrage unter SPD-Wählern fiel pro Vertrag aus. Daraus lässt sich schließen, dass innerhalb von zwei Wochen auch die Mitglieder Ja sagen dürften, zumal sie ansonsten eine Neuwahl fürchten müssen. Vor Weihnachten wäre dann Angela Merkel Kanzlerin einer Regierung, die eine überwältigende Mehrheit besitzt. Linke und Grüne mögen da verbal noch so laut oder auch clever agieren - politisch gestalten können sie im Parlament nichts. Diese Dominanz ist zweischneidig. Ihr Vorteil ist, dass die Regierung leichter als eine zahlenmäßig schwache Koalition sinnvolle, aber unpopuläre Projekte verwirklichen kann. Sie trägt aber auch das Risiko, zu selbstgefällig zu werden. Erstes Indiz ist die große Bereitschaft, teure Wohltaten wie Mindestlohn und Rente mit 63 großzügig zu "spendieren", ohne Folgen und Finanzierung wirklich zu bedenken. Zur Selbstgefälligkeit zählt auch Horst Seehofers unglückseliger Brief an das ZDF zum spektakulären - von beiden Seiten nicht optimal geführten
Gabriel-Interview. Gerade eine große Koalition sollte jeden Anschein vermeiden, dass sie demokratische Elemente wie die Pressefreiheit mit Füßen tritt.

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