08.07.2018 16:03:45

WDH: Druck auf Merkel vor Nato-Gipfel - Neuer Ärger mit Trump?

(Details zu Nato-Zielmarke im 2. und 3. Absatz neu gefasst, zudem Angaben US-General im 7. Absatz ergänzt)

BERLIN/BRÜSSEL (dpa-AFX) - Vor dem Nato-Gipfel wächst der Druck auf Kanzlerin Angela Merkel (CDU), die deutschen Verteidigungsausgaben deutlich hochzufahren. "Ich erwarte, dass Deutschland noch mehr tut", sagte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg der "Bild am Sonntag". Merkel bekennt sich zu steigenden Verteidigungsausgaben - trotz Warnungen von US-Präsident Donald Trump lässt sie ein Erreichen der Nato-Ziele aber offen. Bei der Bundeswehr gehe es jetzt "um Ausrüstung und nicht etwa um Aufrüstung", sagte Merkel in einer Videobotschaft.

Um die 2014 als Nato-Zielmarke vereinbarten Ausgabenpläne vollständig zu schaffen, müsste der Bundeswehretat bis 2024 um fast 40 Milliarden auf rund 80 Milliarden Euro steigen. Ob das noch zu schaffen ist und überhaupt gewollt ist, ließ Merkel offen. Deutschland wird dies kaum erreichen können - derzeit liegen die Verteidigungsausgaben bei 38,95 Milliarden Euro (2018) - das entspricht einer Quote von 1,24 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.

Die Staats- und Regierungschefs der Nato hatten 2014 im Zuge der Krim-Krise als Antwort auf das russische Verhalten vereinbart, dass sich alle Mitgliedstaaten bei ihren Verteidigungsausgaben bis 2024 einem Wert von zwei Prozent des BIP annähern sollen, einige wie die USA liegen längst darüber. Der US-Präsident forderte im Vorfeld des Nato-Gipfels am Mittwoch und Donnerstag in Brüssel deutlich höhere Ausgaben Deutschlands, um die USA in der Nato zu entlasten.

Merkel hat als Kompromiss 1,5 Prozent bis 2024 angeboten - da das BIP weiter steigen wird, wären das auch rund 18 Milliarden Euro mehr als heute, was der Koalitionspartner SPD skeptisch sieht. "1,5 Prozent sind nicht zwei Prozent", sagte Stoltenberg dazu. Er gehe davon aus, dass Deutschland die zwei Prozent anstrebe. "Zumal Deutschland allein wegen seiner wirtschaftlichen Größe eine sehr wichtige Rolle hat."

Merkel betonte, zu Zeiten des Kalten Kriegs hätten die Ausgaben noch über dem Zwei-Prozent-Ziel gelegen, dann sei es aber zu starken Einsparungen gekommen, so Merkel. Unter der von ihr geführten Bundesregierung von Union und FDP war 2010 ein Sparpaket vereinbart worden, 2011 wurde die Wehrpflicht ausgesetzt. "Eine gute Ausrüstung sind wir auch den vielen Soldatinnen und Soldaten schuldig, die sich für unsere Sicherheit einsetzen", sagte Merkel nun. Immerhin soll der Etat von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) 2019 um vier Milliarden auf 42,9 Milliarden Euro steigen. Damit läge Deutschland dann bei 1,31 Prozent des BIP - und nicht bei etwa einem Prozent, wie US-Präsident Trump es jüngst behauptet hatte.

Vor dem Nato-Gipfel kritisierte auch der Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, die Verteidigungsausgaben der Bundesregierung als zu gering. Man könne lange darüber diskutieren, ob das Nato-Ziel sinnvoll sei, sagte er der "Welt". "Aber die Wahrheit ist: Wir haben es als Ziel akzeptiert. Es ist deshalb bedauerlich, dass es in der Koalition nicht vereinbart werden konnte." Ohne militärische Schlagkraft bleibe Europa trotz seiner wirtschaftlichen Größe weltpolitisch bedeutungslos, so Ischinger.

Der frühere Kommandeur des US-Heers in Europa, General Frederick B. Hodges, schlug vor, dass Deutschland seine Autobahnen, Schienenwege und Häfen militärtauglicher mache und die Investitionen auf die Militärausgaben bei der Annäherung an das Zwei-Prozent-Ziel der Nato angerechnet werden. "Europa benötigt von Deutschland mehr als Panzer, es braucht deutsche Züge", sagte Hodges den "Stuttgarter Nachrichten" mit Blick auf schnellere Truppenverlagerungen in Europa. In Manövern dauerten Militärtransporte heute mitunter Wochen und Monate.

US-Präsident Trump betonte zuletzt vor Anhängern: "Ich werde der Nato sagen, Ihr müsst Eure Rechnungen bezahlen, die Vereinigten Staaten werden sich nicht um alles kümmern." Deutschland als größter EU-Staat wende nur ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung auf, während dieser Wert für die USA bei vier Prozent liege. Trump sagte zudem mit Blick auf Merkel: "Weißt Du, Angela, (...) ich weiß nicht, wie viel Schutz wir bekommen, indem wir Euch beschützen. Und dann gehen sie raus und machen einen Gas-Deal, Öl und Gas von Russland (...). Sie wollen vor Russland beschützt werden - und trotzdem zahlen sie Russland Milliarden Dollar. Und wir sind die Deppen."

Ob gewolltes Zeichen oder nicht: Direkt nach dem Nato-Gipfel trifft Trump in Finnland erstmals den russischen Präsidenten Wladimir Putin zu einem bilateralen Treffen. Merkel unterstrich die Bedeutung des westlichen Verteidigungsbündnisses. Die Nato sei auch im 21. Jahrhundert als "Garant für unsere Sicherheit und zwar als transatlantisches Bündnis" nötig. Die Herausforderungen hätten sich stark verändert, etwa nach der Annexion der Krim durch Russland. "Das bedeutet, dass wir uns wieder stärker auf die Bündnisverteidigung konzentrieren und dafür auch Vorkehrungen treffen", sagte Merkel mit Verweis auf die Präsenz in Mittel- und Osteuropa. Ziel sei ein vernünftiges Verhältnis zu Russland. "Aber gleichzeitig müssen wir als Nato Entschlossenheit zeigen, uns zu verteidigen", so Merkel.

Der Transatlantik-Koordinator der Bundesregierung, Peter Beyer (CDU), wies darauf hin, dass in der Nato die Befürchtung wachse, dass sich Trump in Helsinki auf einen Deal mit Putin einlassen könnte. "Dem einen oder anderen treibt allein die Tatsache Schweißperlen auf die Stirn, dass sich Trump und Putin treffen, ohne dass irgendetwas mit den Nato-Partnern abgestimmt ist", sagte er der Funke-Mediengruppe./ir/DP/he

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