20.05.2013 21:29:58

Schwäbische Zeitung: NS-Verbrechen verjähren nicht - Leitartikel

Ravensburg (ots) - Seit einigen Wochen sitzt der Aalener Bürger Hans L. in Haft. Der heute 93-Jährige wird von der Staatsanwaltschaft Stuttgart beschuldigt, sich als Mitglied der SS-Wachmannschaften im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau des Mordes an Tausenden schuldig gemacht zu haben. Ob man mit einem solch alten Mann wie L. denn kein Mitleid haben könne, fragen manche Bürger und übersehen dabei die Monstrosität der ihm zur Last gelegten Verbrechen. Ob der Angeklagte das Ende des für den Herbst zu erwartenden Strafverfahrens erleben wird, ist dabei von nachgeordneter Bedeutung. Wichtig ist das Zeichen, das nach außen in die Welt wie nach innen gegeben wird: dass eine bundesdeutsche Justiz, die sich nach 1945 häufig der Verschleppung und Vertuschung schuldig gemacht hat, heute aktiv Aufklärung betreibt und nun buchstäblich in letzter Minute versucht, Schuldige an einem großen Verbrechen zu ermitteln.

Im Fall L. bleiben viele Fragen: Warum hat es so lange gedauert, bis die Ermittlungen begannen? Warum konnte Hans L. aus den USA wegen seiner Vergangenheit ausgewiesen werden, ohne dass die deutschen Behörden hellhörig geworden wären? Wurde da vertuscht, geschützt, weggeschaut? Heute sind Staatsanwälte bei der Arbeit, die sich sehr wohl der Verantwortung der Bundesrepublik Deutschland bewusst sind. Sie ermitteln gegen Dutzende Männer, die in der NS-Vernichtungsindustrie mitgewirkt haben. Sie gehen den Hinweisen von Organisationen nach, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, Schuldige zu finden.

Das Verfahren gegen Männer wie Hans L. würdigt darum auch die Millionen, die in den Konzentrationslagern von SS-Leuten ermordet wurden. Ein Prozess gegen einen der noch lebenden SS-Männer holt jenen Teil der deutschen Geschichte an die Oberfläche, der dieses Land maßgeblich geprägt hat und der zwischen Eurokrise und Wirtschaftswachstum gerne vergessen wird. Die deutsche Gegenwart wäre ohne das mahnende Erinnern an die verbrecherische Geschichte des Dritten Reiches unvollständig.

Originaltext: Schwäbische Zeitung Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/102275 Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_102275.rss2

Pressekontakt: Schwäbische Zeitung Redaktion Telefon: 0751/2955 1500 redaktion@schwaebische-zeitung.de

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