22.03.2014 17:20:32

Nur Bernd Lucke hält die AfD zusammen

   Von CHRISTIAN GRIMM

   Nach seiner Rede war alles gut: Die 1.000 Parteimitglieder sprangen von ihren Sitzen und spendeten ihrem Bernd Lucke Beifall. Der AfD-Chef winkte sichtlich zufrieden in die Menge zurück. Er hatte den Parteitag gerettet, der für ihn mit einem herben Tiefschlag begonnen hatte.

   Vor seiner Rede war das große AfD-Bundestreffen nichts anderes als Kampf und Krampf. Die Alternative zerfleischte sich in Geschäftsordnungsschlachten. Eine inhaltliche Diskussion um das Europawahlprogramm fand nicht statt. In der Messehalle hatte sich eine bockige Stimmung breitgemacht, nachdem auch nach einer Stunde noch kein Versammlungsleiter bestimmt werden konnte. Für den Vorstand um den Wirtschaftsprofessor aus Hamburg setzte es Buh-Rufe.

   Die Basis brachte dem Leitwolf eine empfindliche Schlappe bei. Mit einem Beschluss wurde die Diskussion um die Satzung der Partei von der Tagesordnung gestrichen. Lucke wollte sich über die Änderung der Statuten den Chefstatus auch auf dem Papier sichern. Bisher firmieren neben ihm offiziell noch zwei weitere Co-Sprecher als Köpfe der Partei. Die Abreibung der Delegierten saß. Lucke hatte am Anfang seiner Rede sichtbar daran zu knabbern. Dann gelang es ihm aber, das Publikum mit den Kernbotschaften wieder auf seine Seite zu ziehen.

   Nur Lucke kann die Fliehkräfte bändigen

   Doch ohne die integrierende Kraft des AfD-Mitgründers würde sich die Partei selbst zerstören. Flehentlich wandte sich Lucke immer wieder an das renitente Fußvolk, sich zu mäßigen. "Wie in einem revolutionären Getümmel wird bei uns nach allen Seiten kräftig ausgeteilt", beschwerte sich der Spitzenmann für die Europawahl. "Wenn die Umgangsformen bei uns eines Tages wieder ein bisschen weniger pseudo-revolutionär würden, würde mich das freuen."

   Immer wieder hatte es zuvor Querschüsse gegeben, teils wurden sich wegen minimaler Formulierungsunterschiede bei Anträgen die Köpfe heiß geredet. Der völlig verschenkte Vormittag in Erfurt hat gezeigt, dass in der AfD ein erhebliches Spaltpotenzial wohnt. Für eine junge Partei ist das nichts ungewöhnliches, aber in Erfurt wird deutlich, dass es neben Lucke keinen gibt, der die Truppen zusammenhalten kann. Auch die Grünen starteten in den 80er Jahren mit chaotischen Parteitagen, aber die Führungsschicht war breiter. Neben Joschka Fischer waren das zum Beispiel Otto Schily, Daniel Cohn-Bendit und Petra Kelly. Was passiert, wenn die Führungspersönlichkeiten abgesägt werden, ist bei den Piraten zu beobachten: Sie zerlegen sich selbst. Der halbe Vorstand ist zurückgetreten, und die verbliebenen Amtsträger sind in der Öffentlichkeit völlig unbekannt.

   Die tiefen Risse bei den Euro-Gegnern, die sich immer wieder an Satzungs- und Statutenfragen auftun, konnte Lucke nur durch den Rückgriff auf Zugkräftiges überbrücken. Die Partei als Verbund gegen die Entmündigung des Volkes, gegen die Obrigkeit, die ihre Euro-Rettungspolitik als alternativlos durchzieht. "Die AfD ist eine Freiheitsbewegung gegen die Gängelung und Entmündigung von oben", rief der Chef in den Saal. Mit dem Euro in den Südländern, mit der Bankenunion, mit den Rettungsfonds ESM und EFSF will er Schluss machen. Die Messehalle jubelt.

   Spott und Häme verteilte Lucke an den SPD-Spitzenkandidaten für die Europawahl. Martin Schulz ist zwar einer der am meisten geachteten Politiker im politischen Brüssel, als Parlamentspräsident und eventuell nächster Kommissionschef ein echtes Schwergewicht. Für Lucke ist er nur ein ehemaliger Bürgermeister aus Würselen, einer Kleinstadt im tiefen Westen der Republik, bar jeder Regierungserfahrung. "Mehr ist da nicht", ätzte der Ober-Euro-Skeptiker. Viel geeigneter als Kommissionspräsidenten hält er hingegen den ehemaligen BDI-Chef, Hans-Olaf Henkel. Der hat zwar in Brüssel keinerlei Einfluss, was ihn aus Sicht seines Parteifreundes aber qualifiziert, ist seine frühere Tätigkeit als Manager. Henkel steht auf Platz 2 der Liste für die Europawahl und ist neben Lucke das Aushängeschild für den Wahlkampf.

   Doch Henkel gelingt es in seiner Rede selbst mit starken Sprüchen gegen Brüssel nicht, das Parteivolk zu begeistern. Auch er könnte die zänkische AfD nicht zähmen und hinter sich vereinen. Falls sich Lucke, aus welchen Gründen auch immer, zurückziehen sollte, wäre die junge Formation so schnell von der politischen Bühne verschwunden, wie sie aufgetaucht ist. Die AfD ist eine One-Man-Show.

   DJG/cgr/raz

   (Mehr zu diesem Thema und weitere Berichte und Analysen zu aktuellen Wirtschafts- und Finanzthemen finden Sie auf www.WSJ.de, dem deutschsprachigen Online-Angebot des Wall Street Journal.)

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