12.09.2014 19:17:59

Neue Westfälische (Bielefeld): Kommentar Junckers EU-Kommission Zur Kooperation verdammt Knut Pries, Brüssel

Bielefeld (ots) - Hinsichtlich seiner Truppe ist Jean-Claude Juncker unbescheiden. Das sind alle miteinander "Hochkaräter", lobt der Luxemburger die Damen und Herrn, mit denen er als Brüsseler Kommissionspräsident die Geschicke der EU in den kommenden fünf Jahren lenken will. Für Erfahrung und Kompetenz jedes Einzelnen könne er bürgen. "Ein Sieger-Team!" Das hat politische Konkurrenten, Kom-mentatoren und Lobbyverbände nicht gehindert, sogleich über die angeblichen Siegertypen herzufallen und zu unken, dass sich Juncker mit der Personalie X und der Ressortzuteilung Y schwere Fehler geleistet habe. Ein Großteil der Kritik folgt dem Mäkelmuster "Bock und Gärtner". Zielscheibe des Vorwurfs sind vor allem der Franzose Pierre Moscovici (Wirtschaft und Finanzen), der Brite Jonathan Hill (Finanzmärkte), der Grieche Dimitris Avramopoulos (Migration) und der Ungar Tibor Navracsics (Bildung und Kultur). Bei jedem der Genannten heißt es: Ausgerechnet! Steht nicht Moscovici für die Unfähigkeit der französischen Sozialisten, der Schuldenmacherei ein Ende zu setzen? Wird nicht Lord Hill in erster Linie die Interessen der Londoner Börse im Auge haben? Wie soll Avramopoulos das Flüchtlingsproblem in den Griff bekommen, mit dem Griechenland notorisch überfordert ist? Und ist nicht Navracsics von der ungarischen Fidesz-Partei ein Vertreter jenes ruppigen Umgangs mit Demokratie und Rechtsstaat, der die EU-Partner seit Jahren empört? Dass Juncker, kein heuriger Hase, aus Versehen oder Inkompetenz so viele Böcke geschossen beziehungsweise zu Gärtnern ernannt hat, kann man ausschließen. Es ist dies eine bewusste Strategie - und politisch pfiffiger, als auf den ersten Blick ins Auge fällt. Ein führender EU-Parlamentarier beschreibt es so: "Die Motzer sollen Verantwortung übernehmen." Die Arbeit im Brüsseler Kollegium, das für seine Mitglieder verbindliche Beschlüsse fasst, bindet alle in eine gemeinsame europäische Position ein - und die kann einer misstrauischen Außenwelt am besten vermitteln, wer selbst als Skeptiker bekannt ist. Es ist dieselbe Logik, deretwegen Gerhard Schröder als Agenda-Kanzler Erfolg hatte: Soziale Zumutungen dieses Kalibers konnte nur ein Sozialdemokrat unter die Leute bringen. Eine zweite große Veränderung ist bislang weitgehend unbemerkt geblieben. Sie betrifft das Zusammenspiel der Juncker-Kommission mit dem Europäischen Parlament. Die Europawahl hat dafür gesorgt, dass die Schaltzentrale der EU politischer ist als jede zuvor. Juncker hat sich den Chefsessel in Brüssel erkämpft, weil er als Spitzenkandidat der Christdemokraten mehr Mandate holte als die Konkurrenz und weil er im EP auch auf die Truppen des Sozialdemokraten Martin Schulz sowie eines guten Teils der Liberalen zählen kann. Das Bündnis von Schwarz und Rot kann nicht einfach auseinanderlaufen, weil sonst keine verlässlichen Mehrheiten zustande kommen. Nach den Wahlerfolgen der Populisten steckt das Hohe Haus "voller Spontis und Spezialkünstler" (der CDU-Gruppenchef Herbert Reul). Die rechte und die linke Mitte sind zur Kooperation verdammt, miteinander und mit Juncker, dessen Haus der institutionelle Anstoßgeber der Europäischen Union ist. Politische Basis ist das von Juncker vorgelegte Programm. Das heißt: Die Brüsseler nähern sich den Berliner Verhältnissen an, bei denen sich eine Regierungskoalition auf ein großes Parteienbündnis im Parlament stützt. Aus Team Juncker wird GroKoKo - die große Koalitions-Kommission.

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