13.03.2015 20:22:00

Mehr Netto vom Brutto für 6,4 Millionen Österreicher

Nach langen Verhandlungen mit vielen harschen Begleittönen präsentierten Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP) am Freitag mit einigem Stolz ihre Steuerreform: Sie soll 6,4 Millionen Bürgern mehr Netto vom Brutto bringen, 4,9 Mrd. sollen - bei fünf Mrd. Gesamtvolumen - "direkt in die Brieftaschen der Menschen" gehen.

"Das Ergebnis kann sich sehen lassen", zeigte sich Faymann zufrieden mit dem in der Nacht fixierten Paket. Österreich investiere in wirtschaftlich schwierigen Zeiten in die Kaufkraft. Als "ausgewogen und fair" pries Mitterlehner die Reform an. Die bewegte Summe von fünf Mrd. sei "kein lächerlicher PR-Gag", sondern bringe im Schnitt 1.000 Euro Entlastung für jeden Arbeitnehmer.

Bei der Gegenfinanzierung ist zwar noch einiges offen. Aber Faymann und Mitterlehner versicherten, dass man nicht von einer Tasche nehme und in die andere gebe. Drei Viertel würden ausgabenseitig finanziert, unterstrich Mitterlehner, 1,1 Mrd. Euro würden im Verwaltungsbereich eingespart. Die Koalitionschefs kündigten - ohne genaueres zu verraten - zusätzliche Reformen an, allen voran im Bildungsbereich, aber auch bei Arbeitsmarkt und Pensionen.

Kanzler und Vizekanzler zeigten sich - live übertragen von Radio und Fernsehen - ganz eines Sinns, keiner tat sich als Sieger hervor: "Wir machen keine Steuerreform für die ÖVP, keine Steuerreform für die SPÖ, sondern eine Steuerreform für Österreich", betonte Mitterlehner. Auch die beiden Parteien waren weitgehend zufrieden - die Gremien sogar (fast) einstimmig: Im ÖVP-Vorstand gab es keine Gegenstimme, im SPÖ-Präsidium auch nicht, nur im SPÖ-Vorstand drei - von den stets kritischen Jugend-Vertretern.

Die anderen SPÖ-Vertreter freuten sich aber, dass es gelungen sei, den Arbeitnehmern mehr Netto vom Brutto zu geben. Seine Partei habe sich bei den Entlastungen durchgesetzt, die ÖVP beim Schutz der Millionäre, fasste der burgenländische LH Hans Niessl zusammen. Auch Gewerkschaft und die Arbeiterkammer sehen ihre Konzepte weitgehend umgesetzt. Ihre Freude über die Entlastung war so groß, dass von Enttäuschung über die am Widerstand der ÖVP gescheiterten Millionärs- oder Erbschaftssteuern so gut wie keine Rede war.

Gedämpfter war die Freude im ÖVP-Vorstand, da hörte Mitterlehner einige "Befürchtungen und Einwendungen" vor allem wegen der Gegenfinanzierung über erhöhte Mehrwertsteuersätze. Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl stimmte zwar zu im Vorstand, weil immerhin "das Schreckgespenst neuer Vermögens- und Substanzsteuern für die Unternehmen abgewehrt" sei. Aber er hätte sich mehr Reformen gewünscht. Deshalb war auch IV-Präsident Georg Kapsch der Meinung, dass kein "großer Wurf" gelungen sei.

Die Opposition ließ kaum ein gutes Haar an der Reform. FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache sprach von einem "kümmerlichen Paketchen", dessen Wirkung in spätestens zwei Jahren verpufft sei. Seitens der Grünen befand Bundessprecherin Eva Glawischnig, dass ein großer Teil der Tarifanpassung auf Sand gebaut sei. So seien die veranschlagten knapp zwei Mrd. Euro bei der Betrugsbekämpfung "vollkommen überhöht". Eine "bloße Geld-Umverteilaktion ohne echte Reformen" ortete die Klubobfrau des Team Stronach, Waltraud Dietrich. NEOS-Chef Matthias Strolz verstand nicht, dass Unternehmen "völlig außen vor" gelassen würden und eine "echte Entlastung des Faktors Arbeit" nicht forciert werde.

Wenig überraschend kamen auch umgehend Proteste Betroffener: Die Hoteliersvereinigung kündigte höhere Zimmerpreise wegen des erhöhten Mehrwertsteuersatzes. Die Gastronomie-Vertretung war empört über die Registrierkassenpflicht. Bei der Börse Wien ärgerte man sich über die Anhebung der KESt auf Dividenden, da derartige Maßnahmen einmal mehr den Kapitalmarkt treffen würden, und Raiffeisen und Sparkassen kündigten Widerstand gegen die Aufhebung des Bankgeheimnisses bei Betriebsprüfungen an.

Inhaltlich bringt die Steuerreform eine Lohnsteuersenkung um gut fünf Mrd. Euro 2016, die zum Großteil durch Einnahmen in anderen Bereichen gegenfinanziert wird. Der Eingangssteuersatz sinkt (von 36,5 auf 25 Prozent), für Niedrigverdiener gibt es eine deutlich höhere Negativsteuer. Einkommensmillionäre zahlen eine auf fünf Jahre befristete Sonder-Spitzensteuer von 55 Prozent. Für die Wirtschaft ist ein "Standortpaket" geplant.

Die meisten Details waren bereits zuvor durchgesickert. Eine Überraschung gab es am Tag der Präsentation aber doch: Damit die beim Betrugsbekämpfungspaket eingeplanten Zusatzeinnahmen von 1,9 Mrd. Euro wirklich zustande kommen, wird das Bankgeheimnis für Unternehmer aufgeweicht - die Finanz soll bei Abgabenprüfungen auch ohne Gerichtsbeschluss Konten öffnen. Dazu ist auch ein - von der Korruptionsstaatsanwaltschaft seit Jahren gefordertes - zentrales Kontenregister geplant. Außerdem soll es mehr Personal für Betriebsprüfungen geben.

Im Verwaltungsbereich sollen 1,1 Mrd. Euro eingespart werden, u.a. durch das Einfrieren von Förderungen und die forcierte Umsetzung von Rechnungshof-Vorschlägen. Die von Finanzminister Hans Jörg Schelling (ÖVP) angeregte Verwaltungskostenbremse soll 600 Mio. Euro ab 2016 bringen.

Für die Aufweichung des Bankgeheimnisses und die geplante höhere Kapitalertragssteuer auf Dividenden ist eine Verfassungsmehrheit nötig. Die Grünen schlossen eine Zustimmung am Freitag zumindest nicht aus. Zeit für Verhandlungen ist genug: Der Gesetzesentwurf soll erst im Mai in Begutachtung gehen. Der Parlamentsbeschluss wird für den Juli angepeilt. Nachschärfungen bis dahin hat Mitterlehner nicht ausgeschlossen, sehr wohl aber SP-Klubobmann Andreas Schieder: "Wenn jeder nachschärft, funktioniert es nicht."

(Schluss) dru/has

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