Rechtlich umstritten 27.09.2021 20:05:39

Deutsche Wohnen & Co.: Berliner stimmen für Enteignung von Wohnungsunternehmen - Immobilienaktien stark

Deutsche Wohnen & Co.: Berliner stimmen für Enteignung von Wohnungsunternehmen - Immobilienaktien stark

56,4 Prozent der Wähler stimmten am Sonntag in einem Volksentscheid dafür, 39,0 Prozent lehnten das Vorhaben ab, wie die Landeswahlleitung mitteilte. Gleichzeitig wurde das nötige Mindestquorum für die Zustimmung von einem Viertel der Wahlberechtigten erreicht. Damit ist der Berliner Senat laut Beschlusstext nun aufgefordert, "alle Maßnahmen einzuleiten", die zur Überführung von Immobilien in Gemeineigentum erforderlich sind, und dazu ein Gesetz zu erarbeiten.

Allerdings ist das Votum für die Politik rechtlich nicht bindend. Denn abgestimmt wurde nicht über einen konkreten Gesetzentwurf, der durch einen erfolgreichen Volksentscheid direkt beschlossen wäre. Dennoch werden sich der neue Senat und das am Sonntag neu gewählte Abgeordnetenhaus mit dem Votum auseinandersetzen müssen.

Konkret geht es bei dem in Deutschland bisher einmaligen Vorhaben um Unternehmen mit mehr als 3000 Wohnungen in Berlin, soweit sie eine "Gewinnerzielungsabsicht" verfolgen. Diese sollen vergesellschaftet, also gegen Entschädigung enteignet und in eine Anstalt öffentlichen Rechts überführt werden. Betroffen wären rund 240 000 Wohnungen, etwa 15 Prozent des Berliner Bestands an Mietwohnungen - ein milliardenschweres und rechtlich umstrittenes Unterfangen.

Die Initiative "Deutsche Wohnen & Co enteignen" kündigte an, die kommenden Koalitionsverhandlungen intensiv zu begleiten: "Wir akzeptieren weder Hinhaltestrategien noch Abfangversuche. Wir kennen alle Tricks", erklärte Kalle Kunkel, ein Sprecher der Initiative. "Wir lassen nicht locker, bis die Vergesellschaftung von Wohnungskonzernen umgesetzt ist."

In Berlin ist das Niveau vor allem der Angebotsmieten in den letzten Jahren stark gestiegen. Selbst Normalverdiener haben es in etlichen Stadtteilen schwer, eine bezahlbare Bleibe zu finden.

Die Initiative "Deutsche Wohnen & Co enteignen" glaubt, mit Hilfe einer Vergesellschaftung von Wohnungen den Anstieg der Mieten stoppen und langfristig bezahlbare Mieten sichern zu können. Sie beruft sich dabei auf Artikel 15 des Grundgesetzes. Dort heißt es: "Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden."

Ob der Berliner Senat nun ein solches Gesetz erarbeitet, ist offen und hängt nicht zuletzt von der politischen Zusammensetzung der neuen Landesregierung ab. SPD, CDU, AfD und FDP sind - wie die Wirtschaft - gegen Enteignungen. Die Linke ist ohne Wenn und Aber dafür, die Grünen halten einen solchen Schritt "als letztes Mittel" für möglich.

Berlin würde damit komplettes Neuland betreten. Allein die Entschädigungskosten würden sich laut Prognosen des Senats auf 29 bis 36 Milliarden Euro belaufen. Die Enteignungsinitiative rechnet mit 7,3 bis 13,7 Milliarden Euro. Sie will die Immobilienunternehmen nicht mit Geld, sondern mit Schuldverschreibungen entschädigen, die dann über einen Zeitraum von 40 Jahren aus den Mieteinnahmen getilgt werden.

Rechtliche Prüfungen einer Vergesellschaftung werden kompliziert, schon jetzt gibt es Gutachten pro und kontra. In jedem Fall dürfte ein solches Vorhaben von dem Bundesverfassungsgericht landen. Dort war Berlin zuletzt im April mit dem Mietendeckel gescheitert, also staatlich verordneten Obergrenzen für Mieten.

Vonovia nach Wahl gefragt - Immobilien allgemein fest

Das Ergebnis der Bundestagswahl hat die Anleger am Montag bei Immobilienwerten zugreifen lassen. Börsianern zufolge galt dies vor allem bei Wohnimmobilien-Aktien, weil eine rot-rot-grüne Koalition auf Bundesebene vom Tisch ist. Die Aktien von Vonovia etwa rückten am Ende um 1,8 Prozent vor, gleichwohl sie im Verlauf auch schon deutlich mehr zugelegt hatten. LEG und Aroundtown gewannen im MDAX bis zu 1,7 Prozent.

Die Aktien von Vonovia reagierten also nicht negativ darauf, dass bei einem Volksentscheid in Berlin für eine Enteignung von Wohnungsunternehmen gestimmt wurde. Stark davon betroffen wäre etwa das Übernahmeziel Deutsche Wohnen, hier blieben die Aktien allerdings von der geplanten Fusion gesteuert: Der Kurs trat nahe der Vonovia-Offerte von 53 Euro praktisch auf der Stelle. Bei der Übernahme wurden zuletzt Fortschritte vermeldet, mittlerweile hält Vonovia die Aktienmehrheit an dem Konkurrenten.

Somit wurde es weder bei Vonovia noch dem Übernahmeziel Deutsche Wohnen zur Belastung, dass sich die Berliner im Rahmen eines Volksentscheids für die Enteignung großer Wohnungskonzerne ausgesprochen haben. Damit ist der Senat laut Beschlusstext nun aufgefordert, "alle Maßnahmen einzuleiten", die zur Überführung von Immobilien in Gemeineigentum erforderlich sind, und dazu ein Gesetz zu erarbeiten. Rechtlich bindend allerdings ist das Votum für die Politik nicht.

"Die Gefahr einer rot-rot-grünen Bundesregierung ist vorbei und somit rechnen nun viele Marktteilnehmer mit einem eher gemäßigten weiteren Vorgehen bei dem Thema hohe Mieten", sagte Marktbeobachter Andreas Lipkow von der Comdirect. Er empfand auch die fortgeschrittenen Übernahmebestrebungen bei dem Konkurrenten Deutsche Wohnen als hilfreich für den Vonovia-Kurs. Bis zum späten Freitag hatte sich Vonovia 50,49 Prozent gesichert.

Andere Börsianer ergänzten, die Lage in Berlin bleibe zwar verunsichernd vor allem für auf diese Stadt fokussierte Konzerne, zu denen vor allem der Vonovia-Fusionspartner Deutsche Wohnen zählt. Dass die Linke auf Bundesebene jedoch nicht für eine Koalition in Frage komme, mildere die Sorgen, dass die Berliner Initiative deutschlandweit Schule machen könnte.

Am Markt gab es auch Stimmen, die die Berliner Situation als nur mäßig beunruhigend empfanden. Für den Sektor bleibe die Zukunft in der Hauptstadt zwar ein zentrales und auch belastendes Thema. "Die Auswirkungen einer möglichen Enteignung könnten sich aber dennoch im Rahmen halten, sofern die Immobilienbesitzer zum Beispiel zu Preisen auf Marktniveau entschädigt werden müssen", so ein Börsianer.

Analyst Julian Livingston-Booth von der kanadischen Bank RBC äußerte sich ähnlich. Er sieht den Sektor zwar weiter in einer Phase der Unsicherheit. Es gebe aber gute Argumente, warum es unwahrscheinlich sei, dass die neue Berliner Regierung das Gesetz tatsächlich verabschieden werde. "Darüber hinaus dürfte es rechtliche Anfechtungen geben, insbesondere wenn der Enteignungspreis deutlich unter dem aktuellen Buchwert liegt", so der Experte.

Er führte außerdem an, dass die SPD als Berliner Wahlsieger der Enteignung nicht gerade offen gegenüber stehe und im Zuge der Abgeordnetenwahl andere Optionen bekommen habe: "Die SPD hat eine Alternative zur Koalition mit Grünen und Linken", betonte der Experte. Vor allem bei letzterer Partei, vereinzelt aber auch den Grünen, sieht er das Hauptlager der Unterstützer für Enteignungen in Berlin.

Anderswo im deutschen Immobiliensektor war die Kursreaktion ebenfalls positiv. alstria office und Grand City legten im MDAX um bis zu 0,8 Prozent zu. Im Nebenwerteindex SDAX rückten PATRIZIA und ADLER Group um bis zu 2,8 Prozent vor. Gesamteuropäisch gehörte der Sektorindex Stoxx Europe 600 Real Estate mit einem halben Prozent zu den Gewinnern in der Branchenwertung.

BERLIN (dpa-AFX)

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Bildquelle: Deutsche Wohnen

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