04.09.2014 19:12:58

DER STANDARD-Kommentar: "Das globale Kartenhaus" von Andreas Schnauder

Die EZB öffnet die Schleusen und behindert dadurch die notwendige Entschuldung (Ausgabe ET 5.9.2014)

Wien (ots) - Nun schöpft Mario Draghi aus dem Vollen. Eine weitere Zinssenkung und oben drauf ein Programm zum Ankauf von Wertpapieren soll die Deflationsängste vertreiben und die Konjunktur stimulieren. Dass die Europäische Zentralbank damit die Wende herbeizaubert, darf bezweifelt werden, ist doch die bisherige Politik der offenen Geldschleusen auch schon verpufft. Dass negative Anreize, von Preisblasen bis hin zur Stützung von Zombibanken, verstärkt werden, ist hingegen offenkundig.

Keine Frage: Der Druck auf Draghi ist durch den heftigen Konjunkturabschwung und die nachlassende Teuerung merklich gestiegen; geopolitische Risiken drohen die Eurozone in ihre dritte Rezession binnen sechs Jahren zu stürzen. Dass ein Triple Dip in Zeiten von Rekordarbeitslosigkeit und -verschuldung verheerend wäre, ist unbestritten. Dennoch marschiert die EZB in die falsche Richtung und konterkariert mit ihrer Politik die dringend notwendige Entschuldung der Volkswirtschaften und die Bereinigung der Finanzindustrie.

Die Deflationsgefahr soll keineswegs kleingeredet werden, doch muss das Preisgefüge auch im Kontext gesehen werden. Sinkende Energie- und Rohstoffpreise einerseits sowie die notwendige Strukturanpassung (Lohnzurückhaltung, Ausgabenkürzungen) in der Europeripherie drücken zwangsläufig auf die Teuerung. Der Prozess ist zweifelsohne ein schmerzhafter, doch die einzige Alternative in einer gemeinsamen Währungsunion bestünde in der dauerhaften Querfinanzierung jener Staaten, die ihren Zugang zu Export- und Kapitalmärkten verloren haben.

Auch den stockenden Geldfluss von der Notenbank hin zu den Wirtschaftsakteuren wird die EZB mit ihren Maßnahmen nicht beseitigen. Unternehmen, Haushalte und Staaten sind stark verschuldet und versuchen gerade, wieder in eine nachhaltige Balance zu gelangen. Will Draghi die Realwirtschaft wieder tiefer in die Kreide treiben und damit mühsam aufgebautes Vertrauen zunichtemachen? Vertrauen ist auch der Schlüssel für die Gesundung des Finanzsystems, das die Zentralbank mit den laufenden Stresstests zu gewinnen sucht. Neue Geldspritzen halten dagegen viele der wackelnden Institute am Leben und verhindern, die Leichen im Keller zutage zu fördern. Mit den lebensverlängernden Pillen an die Zombibanken wächst die Gefahr einer anhaltenden Stagnation nach japanischem Vorbild.

Gleichzeitig wachsen die Risiken rapide. Die großen Notenbanken haben seit Ausbruch der Finanzkrise 20 Billionen Dollar in die Märkte gepumpt, bei einem Ausstieg aus dem Krisenmodus sind neue Schockwellen zu befürchten. Die niedrigen Zinsen verleiteten die Haushalte dazu, immer höhere Schulden aufzutürmen, ihr Verhältnis zum verfügbaren Einkommen stieg global in den letzten sechs Jahren von 155 auf 175 Prozent. Investoren und Banken werden bei ihren Geschäften immer waghalsiger, weil sichere Anlagen nichts bringen und deshalb mehr Risiko genommen wird. Die Folgen: Der Bestand hochverzinster Unternehmensanleihen hat sich in den letzten drei Jahren verdreifacht, bei den Kreditkunden steigt der Anteil jener mit niedriger Bonität rasant. Dazu kommt die Flucht in Sachwerte, allen voran in Luxusimmobilien.

Die Notenbanken haben die Weltwirtschaft in ein riesiges Kartenhaus verwandelt, das früher oder später einstürzen muss. Statt den Retourgang einzulegen, wird munter nachgelegt.

Rückfragehinweis: Der Standard, Tel.: (01) 531 70/445

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