15.12.2013 20:19:58

Badische Zeitung: SPD-Mitgliederentscheid und Regierungsbildung / Ehrgeiz und Macht Leitartikel von Thomas Hauser

Freiburg (ots) - Projekte machen Personen. Dass man in der Politik binnen weniger Wochen vom Wackelkandidaten zum unangefochtenen Hoffnungsträger werden kann, Siegmar Gabriel ist der Beweis. Der SPD-Vorsitzende hat seine Partei souverän durch die Verhandlungen mit der Union geführt und sich den Koalitionsvertrag - gegen Anfeindungen und Unkenrufe - von den Mitgliedern seiner Partei bestätigen lassen. Der herausragende Erfolg dieses riskanten und bislang einzigartigen Aktes von innerparteilicher Teilhabe wird nicht nur Maßstäbe setzen und Begehrlichkeiten bei der politischen Konkurrenz wecken. Er macht Gabriel zum alleinigen starken Mann in seiner Partei und lässt ihn und seine SPD mit breiter Brust ins Kabinett einrücken. Dort gilt bei vielen Ministerien: Personen machen Projekte. Gabriel zum Beispiel will als Minister für Wirtschaft und Energie die Energiewende zum Erfolg führen. Gelingt ihm das, würde er nebenbei auch jene Wirtschaftskompetenz nachweisen, an der es den Genossen in den Augen vieler Wähler bislang mangelt. Doch Gabriel spielt dabei erneut auf Risiko. Wer die Verantwortung für das umstrittenste und komplexeste Vorhaben neben der Eurorettung übernimmt, kann scheitern oder sich für höhere Aufgaben empfehlen. Nach denen strebt auch Ursula von der Leyen. Nur ist ihr Projekt sie selbst. Hier gilt also das Prinzip Personen machen Personen. Ihr Arbeits- und Sozialministerium wurde von der SPD als Kernkompetenz reklamiert und mit einer von neuem Ehrgeiz beseelten Andrea Nahles besetzt. Da aber eine Rückkehr ins Gesundheitsministerium einem Karriereknick gleichgekommen wäre, drängt die Niedersächsin nun als erste Frau an die Spitze des Verteidigungsressorts. Dass die Kanzlerin die eigensinnige Konkurrentin gewähren ließ, mag damit zusammenhängen, dass alle Vorgänger von der Leyens dort gescheitert sind. Genau diese Herausforderung aber wird Ursula von der Leyen gereizt haben. Wenn es ihr gelingt, diese Männerbastion zu bändigen, dürfte kaum jemand in der Partei ihr die Merkel-Nachfolge noch streitig machen. Aber das Risiko, das sie geht, ist enorm. Und welchem Prinzip folgt die CSU? Im neuen Bundeskabinett ist die Partei, die so maßgeblich zum Wahlerfolg der Union beigetragen hat, eindeutig die Verliererin. Das kann man eigentlich nur so interpretieren, dass Horst Seehofer egal war, wer im Kabinett sitzt und was er dort macht. Zu befürchten ist deshalb, dass er - beflügelt vom Maut-Erfolg - nach dem Motto agiert: Wenn es Ernst wird, entscheide ohnehin ich, wohin die Reise dieser Regierung geht. Und, ach ja, die Kanzlerin. Dass ihr während der Koalitionsverhandlungen ein Projekt besonders am Herz gelegen hätte, ist nicht bekannt. Auch lässt die Liste der CDU-Ministerien, mit Ausnahme vielleicht der Pflege, nichts erkennen, was auf eine besondere Handschrift der CDU in dieser Großen Koalition schließen lassen könnte. Angela Merkel lässt ihre Partner sich auch weiterhin an den schwierigen Themen abarbeiten, kontrolliert und setzt darauf, dass Wolfgang Schäuble die Dinge regeln wird. Der sitzt nämlich als Bundesfinanzminister nicht nur in Sachen Euro im Zentrum des Regierungsnetzes. Ob er den Daumen hebt oder senkt, wird darüber entscheiden, ob der ehrgeizige Gestaltungswille vor allem der sozialdemokratischen Minister befördert oder ausgebremst wird. Die aber stehen nach dem überwältigenden Vertrauensbeweis der Basis nun unter einem besonderen Erfolgsdruck. Denn die SPD-Mitglieder haben mit ihrem Ja zum Koalitionsvertrag auch die Erwartungshaltung verknüpft, dass diese Regierung vom Verwaltungs- und Krisenmanagement umschaltet in eine aktive politische Gestaltung. Gelingt dies nicht, könnte die Euphorie der Mitgliederentscheidung nur die Fallhöhe angehoben haben für einen noch tieferen Absturz.

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